Stadtfeind Nr.1
in seine Kissen zurück, mit zufriedener Miene. »Ausgezeichnet.«
»Das hat natürlich nichts zu sagen«, sage ich.
»Natürlich nicht.«
»Im Ernst.«
»Ich weiß.«
Wir lächeln uns an. »Das war ein toller Tag, was?«, sage ich.
»Der beste.« Er rollt sich wieder auf den Rücken und zieht die Decke hoch. »Ich muss mich jetzt ein bisschen ausruhen«, sagt er. »Besuch mich morgen wieder, wenn du kannst.«
»Jede Wette«, sage ich und erhebe mich zum Gehen während ich über Waynes Worte nachdenke. Vielleicht ist tatsächlich etwas dran, vielleicht ist er aber auch nur stoned bis oben hin.
»Joe«, sagt er. »Erinnere dich, was mit dem Kojoten passiert, als er nicht über die Klippe läuft.«
»Was passiert dann?«
Waynes Lächeln ist schief und zumindest ein kleines bisschen verrückt. »Ein verdammtes Klavier fällt ihm auf den Kopf.«
Unten stoße ich auf Mrs. Hargrove, die im Wohnzimmer auf mich wartet. »Ich will dir etwas zeigen«, sagt sie. Ich folge ihr durch eine Glastür in ein Zimmer, das völlig vollgestopft ist mit übereinander gestapelten Kartons, großen und kleinen, alle ungeöffnet. Eine breite Auswahl führender Internethändler ist vertreten: The Sharper Image, Nordstrom, Amazon.com, Circuit City, Brooks Brothers, Sears, L. L. Bean, Gap und eine ganze Reihe anderer. Ich wende mich zu Mrs. Hargrove um, die misstrauisch die Pakete beäugt, die Stirn fassungslos in tiefe Furchen gezogen.
»Was ist denn das alles?«, sage ich.
»Er kauft Sachen«, flüstert sie mir zu, als würde sie ein dunkles Familiengeheimnis lüften. »Tag und Nacht. Er bestellt einfach irgendwelche Dinge über diesen gottverlassenen Computer.« . »Wozu denn?«
»Woher soll ich das wissen?«, fährt sie mich an, die Stimme schneidend vor Hysterie. »Jeden Tag bekomme ich Pakete. Und wenn sie kommen, will er sie nicht aufmachen. Sagt, ich soll sie einfach hier aufheben.«
Ich starre irritiert auf das Durcheinander von Kartons. Es sind annähernd vierzig oder fünfzig, in willkürlichen Stapeln quer durch das Zimmer verstreut. »Haben Sie ihn denn danach gefragt?«, sage ich.
»Natürlich habe ich ihn gefragt.« Sie zischt beinahe. »Er hat keine Antwort. Ich glaube, er erinnert sich nicht einmal mehr, was er bestellt hat.«
»Ich denke, es könnte ein Symptom sein«, sage ich. »Eine Art Demenz infolge der Krankheit.«
Sie sieht mich entgeistert an. »Was soll ich denn mit diesen ganzen Sachen anfangen?« Sie sieht wieder zu den Kartons, als sei sie von ihnen verfolgt. »Was in Gottes Namen soll ich denn bloß machen?«
Als ich ein paar Augenblicke später gehe, steht sie immer noch da und starrt verzweifelt auf das Zimmer voller ungeöffneter Pakete.
1987
19
Bush-Falls ist nach zwei mittelgroßen Wasserfällen benannt, die in den Wäldern abseits des Porter's Boulevard in den Bush River münden. Eine bekannte Legende der Stadt umrankte diese beiden Wasserfälle, bei der es um ein Highschoolpärchen ging, das auf dem Felsvorsprung über den Wasserfällen parkte, um zu knutschen. Als es hitziger zuging, provozierte die junge Frau in einem Anfall von Leidenschaft ihren Freund, ihr seine Liebe zu beweisen, indem er über die Wasserfälle sprang. Als Preis soll sie ihm ihre Jungfräulichkeit dargeboten haben. Natürlich warf er sich augenblicklich in die eisigen, strudelnden Fluten und wurde über die Wasserfälle getragen. An dieser Stelle variieren die Versionen. Manche behaupten, er hätte diese Heldentat im nackten Zustand vollbracht, wohingegen andere sagen, er sei vollständig angezogen gewesen. In manchen Erzählungen bricht er sich den Arm an einem der größeren Felsen, die aus dem Tümpel unterhalb der Wasserfälle hervorragen, und in anderen kommt er mit heiler Haut davon. Diese und andere Details wurden über Generationen hinweg mit brennendem Eifer diskutiert, aber es herrscht allgemeines Einvernehmen hinsichtlich des Ausgangs der Geschichte. Der junge Mann kehrte triumphierend, durchnässt und bibbernd zum Wagen zurück, wo seine Freundin in ihrer nackten Pracht auf der Rückbank lag, bereit, ihren Teil der Abmachung zu erfüllen und ihn mit der süßen, nassen Hitze ihrer hingegebenen Jungfräulichkeit zu wärmen.
Die Wälder in unmittelbarer Umgebung dieser Wasserfälle blieben, was nicht verwundert, die beliebteste Knutschgegend der Stadt. Wenn man ein Mädchen war, das nicht vorhatte, die Beine breit zu machen, mied man die Wasserfälle, denn das Einverständnis, mit hinaufzufahren, war
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