Stadtfeind Nr.1
»Warte, bis sich alles ein bisschen beruhigt hat.«
»Sie werden alle darüber reden, werden hinter meinem Rücken flüstern.«
»Und was ist mit Sammy?«
»Scheiß auf Sammy«, sagte Wayne hitzig. »Das ist sowieso alles seine Schuld. Ich habe ihm gesagt, in meinem Zimmer sei es nicht sicher, aber er musste ja immer wieder davon anfangen.«
Das war etwas mehr Information, als ich im Augenblick tatsächlich benötigte. »Hör zu«, sagte ich. »Du bist der Star des Basketballteams. Wenn ein Arschloch wie Mouse akzeptiert ist, weil er dem Team angehört, dann kann ein Bursche wie du mit Sicherheit...«
»Mouse vögelt keine Männer«, sagte Wayne spitz.
»Mouse vögelt auch keine Frauen, nach allem, was man weiß«, versuchte ich vergeblich, wenigstens einen kleinen Witz zu reißen.
»Das ist übel, Joe«, sagte Wayne und streckte sich auf meinem Bett auf dem Rücken aus. »Das ist ein verdammter Albtraum.«
»Was willst du jetzt tun?«
Wayne bedeckte die Augen mit seinem Unterarm und atmete langsam aus. »Ich will nur noch aufwachen, Mann«, sagte er, wobei er traurig den Kopf schüttelte. »Ich will verdammt nochmal nur noch aufwachen.«
Ich war Gegenstand gründlicher Begutachtung, als ich am nächsten Morgen durch das gespenstische Schweigen des Schulhofs und den Korridor hinunter zu meinem Schließfach ging. Schüler standen in Grüppchen beisammen und führten im Flüsterton Gespräche, die abrupt aufhörten, als ich vorbeiging, mit Blicken, die von fragend bis anklagend reichten. Wayne hatte sich entschieden, sich den Tag über oben in meinem Zimmer zu verkriechen, und bevor ich auch nur mein Schließfach erreicht hatte, wusste ich bereits, dass er die richtige Entscheidung gefällt hatte. In den zwei Minuten seit meiner Ankunft drohten die starren Blicke und Flüsterstimmen mich bereits zu erdrücken, und ich bekam allmählich eine Vorstellung davon, wie Wayne sich heute gefühlt haben würde. Carly wartete an meinem Schließfach auf mich, und ich brach fast zusammen, als sie mich küsste. »Alles okay mit dir?«, fragte sie.
»Eigentlich nicht.«
»Willst du schwänzen und irgendwohin gehen?«
Ich wollte gern, aber ich schüttelte verneinend den Kopf. Nachdem Wayne und Sammy sich versteckt hielten, hatte ich das Gefühl, anwesend sein zu müssen, um für sie die Lage zu erkunden. Außerdem konnte ich mein egoistisches Bedürfnis nicht leugnen, mich inmitten dieses Skandals blicken zu lassen, wie ich mich um meine eigenen Dinge kümmerte, als jemand, der nichts zu verbergen hat, um ja nicht durch meinen Umgang für schwul gehalten zu werden. Carly nahm meine Hand und drückte sich fest an mich. »Ich denke, ich sollte heute nah bei dir bleiben«, sagte sie, und ich spürte, wie meine Augen vor Tränen heiß wurden. Ich küsste Carlys Haar und drückte ihr die Hand, als wir zum Klassenzimmer gingen, und mit einem Mal wurde ich von Wut auf Wayne und Sammy übermannt. Alles war so gut gelaufen; warum mussten sie nun alles vermasseln?
Mitten in der zweiten Stunde wurde ich zu Dugans Büro gerufen. Sean und Mouse hingen vor seinem Büro im Korridor herum, als ich dort ankam.
»Stimmt das mit Hargrove?«, fragte Sean und versperrte mir den Weg zu Dugans Tür.
»Stimmt was?«, sagte ich.
»Es heißt, dass er ein Arschficker ist«, sagte Sean.
»Dieser Ausdruck ist mir nicht vertraut.«
»Du weißt schon, ein Schwanzlutscher«, verdeutlichte Mouse fröhlich. »Eine Schwuchtel.«
»Wayne ist keine Schwuchtel«, sagte ich hitzig.
»Wir haben es aus ziemlich guter Quelle, dass dein Kumpel ein Arschpirat ist«, sagte Mouse mit einem heimtückischen Grinsen. Der Bursche fiel in Englisch durch, aber wenn es um Schimpfworte gegen Schwule ging, war er ein regelrechter Thesaurus.
»Worüber regst du dich eigentlich so auf, Mouse?«, sagte ich. »Wenn es dich aufgeilt, so viel über Schwuchteln zu reden, dann können wir uns nur vorstellen, wohin du in diesem ganzem Schwanzlutscherschema passt.«
Mouse' Lächeln schwand, und er trat drohend einen Schritt vor und packte mich mit beiden Fäusten am Hemdkragen. »Was willst du damit sagen?«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
»Welches Wort hast du nicht verstanden?« Er knallte mich gegen die Schließfächer, so hart, dass ich mit den Zähnen klapperte. »Du verdammtes Arschloch«, sagte er.
»Jetzt redet er schon wieder von Arschlöchern«, sagte ich zu Sean. »Erkennst du da nicht ein Muster?«
Mouse schlug mir mit der Faust in den Magen, und
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