Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
Vom Netzwerk:
abzuwischen. Und dann, während die letzte Minute ausgespielt wurde, kehrte Wayne dem Spielfeld den Rücken zu und sah schließlich zur Sonnentribüne hoch, wo sich ein paar Sekunden später unsere Blicke trafen. Wir grinsten uns einen Augenblick an, und dann nickte er rasch, winkte kurz und verschwand in den Umkleideräumen, kurz bevor die Schlusssirene ertönte und die Turnhalle in eine tosende Kakofonie von Jubel und Applaus ausbrach. In jenem Augenblick wusste ich es noch nicht/aber dieser kurze Wink war Waynes Abschiedsgruß. Es würde viele Jahre dauern, bis er wieder in Bush Falls gesichtet wurde.
    Etwas später an diesem Abend verprügelte irgendjemand Sean Tallon auf dem Parkplatz des Duchess Diner, wohin das Team zur Siegesfeier gegangen war. Sean tauchte ein paar Tage später mit einem gebrochenen Arm in der Schule auf, die rechte Seite seines Gesichts noch immer entstellt und geschwollen. Er verlor nie ein Wort über den Vorfall aber die Art, wie er mich ansah, verriet mir, dass Wayne auf seinem Weg aus der Stadt einen kleinen Umweg genommen hatte, um für Sammy ein letztes Abschiedsgeschenk zu hinterlassen
    Etwa vier Wochen später sprang Sammy über die Wasserfälle.

20
    Während der letzten beiden Tage sind die verstreuten Fragmente meiner Vergangenheit wie Pilze um mich herum aus dem Boden geschossen, sodass ich mich eigentlich nicht wundern dürfte, bei meiner Rückkehr Lucy Haber anzutreffen, die vor der Haustür meines Vaters auf mich wartet. Trotzdem, für einen Augenblick verschlägt es mir die Sprache. Sie trägt Sandalen mit Plateausohlen, einen langen, eng anliegenden Rock mit einem waghalsig hohen Schlitz und eine Seidenbluse mit rundem Ausschnitt. Von meinem Standort neben meinem Wagen auf der Straße sieht es aus, als sei sie überhaupt nicht gealtert. Erst als ich näher komme, sehe ich die leichten Sorgenfalten um ihre Augen und die Winkel ihres ängstlichen Lächelns. Der Rasen hat seit heute Morgen noch ein paar Exemplare von Bush Falls hinzugewonnen, und ich stolpere fast über eines der Bücher, als ich den Weg hochkomme, außer Stande, meinen Blick von Lucy abzuwenden. »Hallo, Joe«, sagt sie, die Stimme leiser, als ich sie in Erinnerung habe.
    »Hi, Lucy.« Ich komme die Stufen hoch, und wir manövrieren uns unbeholfen von einem verkümmerten Händedruck zu einer ungeschickten, schlecht getimten Umarmung. Sie fühlt sich in meinen Armen fest und geschmeidig an, ganz und gar nicht, wie sich eine fünfzigjährige Frau anfühlen sollte, und in ihrem Haar rieche ich dasselbe berauschende, nach Flieder duftende Shampoo, das mich schon als Teenager überwältigt hatte.
    »Ich habe gehört, dass du hier bist«, sagt sie und tritt einen Schritt zurück, um mich anzusehen. »Ich dachte, ich komme rasch auf einen Besuch vorbei.«
    »Ich bin froh, dass Sie das getan haben«, sage ich, obwohl ich mir diesbezüglich noch nicht sicher bin. Ich lasse sie ins Haus, wobei ich laut mit den Schlüsseln klimpere, für den Fall, dass Jared und seine Freundin wieder einmal beschäftigt sind, aber es ist niemand zu Hause. Ich frage mich, über was in aller Welt ich mit Lucy reden werde. »Möchten Sie etwas trinken?«, frage ich.
    »Nein, danke«, sagt sie und sieht sich mit leiser Neugier in der Diele um. »Sicher?«
    »Ja.« Sie tritt ins Wohnzimmer und betrachtet die Familienfotos auf dem Couchtisch. Lucy Haber im Zuhause meiner Kindheit ist wie ein seltenes astrologisches Phänomen, die Annäherung von Planeten mit unvorhersehbaren Nachwirkungen. »Wie geht es deinem Vater?«
    »Nicht allzu gut«, sage ich und setze mich auf die Couch. Einen Augenblick später setzt sie sich zu mir, und das Kissen unter mir gibt sanft nach, als es ihr Gewicht auf sich spürt. Der Zweisitzer, der im rechten Winkel zur Couch steht, hätte sich ihr logischer und angemessener angeboten, denke ich und bin verwirrt, vielleicht etwas besorgt und - wir wollen es nicht leugnen - erregt von ihrer Platzwahl.
    »Es tut mir so Leid, das zu hören«, sagt Lucy. »Hattest du einen Unfall?«
    »Was?«
    Ihre Finger streifen mein Gesicht, als sie über die klaffende Wunde an meiner Schläfe gleitet. Mütterlich? Sexuell? Ödipal? Die Möglichkeiten rattern mir durch den Kopf wie in einer Quizshow. Ich würde gern das Publikum abstimmen lassen. Lucys Berührung setzt augenblicklich das leise Summen der internen Maschinerie in meiner Bauchgegend in Gang, die Hitzewellen erzeugt, die sich rasch nach unten ausdehnen. Ich hoffe bei Gott,

Weitere Kostenlose Bücher