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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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der Mond wie eine dicke Blase an der Ferse des Himmels, als stünde er kurz davor, in einem Sprühnebel aus zähflüssigem weißen Eiter zu zerplatzen. Ich sehe Carly an und denke, ich werde vielleicht weinen müssen. »Ich wünschte nur, ich könnte das alles hinter mir lassen und einfach nur mit dir reden«, sage ich zu ihr. »Du bist der einzige Mensch, mit dem ich wirklich reden will, und offenbar kann ich es einfach nicht.«
    Sie nickt wieder und beugt sich vor, und einen berauschenden Augenblick lang denke ich, dass sie mich umarmen wird, aber sie kauert sich nur vor mich hin und reckt den Hals, als sie nach unten sieht, und sagt: »Ist das Blut auf deinem Bein?«
    Carlys Gästebad ist in hellen Pastellfarben gehalten, Rosa- und Blautöne, mit impressionistischen Aquarellorchideen auf der Tapete. Über dem Waschbecken hängt ein mattiertes Lucite-Regal mit Duftseifen in Form von Muscheln und Seesternen. Ich weiß instinktiv, dass sie diesen Raum nicht gestaltet hat, dass er schon so war, als sie das Haus gekauft hat. Er ist viel zu zart und feinsinnig für die primitiven Abläufe, für die er gedacht ist, und ich bin sicher, hier seine Notdurft zu verrichten müsste einem vorkommen, als würde man in einem Tempel fluchen. Ich setze mich auf das pfirsichfarbene Marmorwaschbecken, und Carly setzt sich auf den plüschbezogenen Toilettendeckel. Sie legt mein verletztes Bein zwischen ihre glatten, unbehaarten Schenkel, während sie es sanft mit Alkohol abtupft. Mir wird bewusst, dass dieser Augenblick meine unmittelbare Motivation war, sie aufzuwecken. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, zwei Nächte hintereinander meine Wunden selbst zu versorgen. »Das ist ganz schön tief«, sagt Carly leise knurrend, während sie um die Wunde herumtupft. »Wie ist das denn passiert?«
    »Bin über einen Zaun geklettert.«
    »Und was ist das überall auf deiner Kleidung?«
    »Farbe.«
    Sie sieht mich fragend an. »Ich habe Farbball gespielt«, erkläre ich.
    »Oh.« Im sich lichtenden Marihuananebel scheint ihr Gesicht in ein weiches, golden schimmerndes Licht getaucht zu sein. »Heute Abend hast du also Farbball gespielt, Gras geraucht und dich verletzt, als du über einen Zaun geklettert bist.«
    »Es klingt dämlich, wenn du es so ausdrückst«, sage ich. »Aus dem Zusammenhang gerissen.«
    »Warum stellst du den Zusammenhang nicht für mich her?«
    Ich denke einen Augenblick darüber nach und zucke dann mit den Schultern. »Der Zusammenhang ist mir zeitweilig entfallen. Ich nehme an, ich habe ein bisschen versucht, meine Jugend noch einmal aufleben zu lassen.« »Als ob du in deiner Jugend so viel gekifft hättest.« »Na ja, vielleicht hätte ich es tun sollen.« Damit habe ich natürlich genau das Falsche gesagt, denn jetzt klinge ich nach einem verbitterten armen Schwein. Die korrekte Reaktion würde lauten: »Ich habe das Gras nicht gebraucht, da ich dich hatte« oder irgendetwas in der Richtung. Es würde abgedroschen und allzu sehr nach dem Versuch klingen, sie anzumachen, und hätte mir bestenfalls ein sarkastisches Stirnrunzeln eingebracht, aber unter alledem hätte es ihr vielleicht in Erinnerung gerufen, dass sie mich einmal geliebt hat.
    Carly reißt mit den Zähnen noch einen Alkoholtupfer auf und fährt fort, meinen blutverschmierten Knöchel zu säubern. »Darf ich ehrlich zu dir sein?«, sagt sie. »Solange du etwas Nettes sagen wirst.« »Seit du nach Falls gekommen bist, scheinst du fest entschlossen, ein völliges Arschloch aus dir zu machen und dir nebenbei auch noch eine ganze Menge Körperverletzungen einzuhandeln.«
    »Könntest du mir vielleicht erklären, was daran nett
    sein sollte?«
    »Manche könnten sagen«, fährt sie leichthin fort, ohne mich zu beachten, »dass du es absichtlich tust.«
    »Und warum sollte ich das tun?«
    »Ich weiß nicht«, sagt sie und wendet sich wieder meiner Wunde zu. Sie nimmt etwas Mull und Klebeband aus einer Schublade unter mir und beginnt vorsichtig, den Verband um die Wunde zu wickeln. »Eine fehlgeleitete Art von Buße vielleicht.«
    »Das ist eine hübsche Theorie«, sage ich. »Aber was ist meine Sünde?«
    »Jeder hat irgendetwas.«
    »Was hast du?«
    Sie denkt über die Frage nach. »Ich bin mir nicht sicher«, gesteht sie, während sie sich nachdenklich auf die Lippe beißt. »Aber ich weiß, dass ich bereits alle Buße geleistet habe, die ich je leisten werde.«
    »Davon habe ich gehört - von deiner Ehe, meine ich. Es tut mir Leid. Ich - ich wusste

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