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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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Vulkanausbruch zu simulieren. Wie er mir auf einem gecharterten Fischerboot im Long Island Sound hilft, einen fünfzehn Pfund schweren Streifenbarsch einzuholen, mich fluchend und brüllend ermutigt und mir dann triumphierend auf den Rücken klopft, als wir den Burschen endlich an Bord gezogen haben. Wie er in der Auffahrt seinen Wagen wäscht, dann den Wasserschlauch auf mich und Brad richtet und uns quer durch den Garten jagt und schließlich so geschickt zur Strecke bringt, dass wir uns alle in einem nassen, schlammigen Knäuel aus Armen und Beinen verheddern ...
    Aber jetzt kommt's. Nichts von alledem ist je passiert. Oder vielleicht ist es auch passiert. Ich kann es nicht mehr sagen. Ich habe so viel Zeit damit verbracht, diese Jahre nachzuerleben und nachzudichten, dass ich nicht mehr erkennen kann, welche Skizzen von welchem Prozess herrühren. In meiner hemmungslosen Wut ist es mir gelungen, einen entscheidenden Teil meines Gedächtnisses so weit zu ruinieren, dass ich nie wieder im Stande sein werde, die Wirklichkeit von ihm zu trennen. Das heißt, wenn es vielleicht irgendwo etwas Gutes gab, dann hat es sich inzwischen in schwafelnder Belletristik verloren. Und das Schlimmste an alledem ist: Ich glaube, ich habe es absichtlich getan.

ZWEITES BUCH

23
    Die Särge tragen alle Namen wie Wilton, Exeter, Balmoral und Buckingham, die suggerieren, dass die lieben Verstorbenen als britischer Adel ins Jenseits eingehen werden. Das Ausstattungsprogramm umfasst Messingbeschläge, handgegossene Bronzegriffe und maßgeschneiderten champagnerfarbenen Krepp mit passenden Kissen und Deckengarnituren. Die Särge der gehobeneren Preisklasse werden mit dem patentierten verstellbaren Ewige-Ruhe-Liegesystem geliefert, und nicht wenige der Särge sind innen kunstvoll ausgestaltet, beleuchtete Grotten mit Darstellungen der Madonna oder Reproduktionen des Letzten Abendmahls. Nur die allgegenwärtige Anwesenheit des Todes verhindert, dass die ganze Geschichte die Grenze zur Komödie überschreitet.
    Brad ist zu Hause und hängt missmutig am Telefon, in die unzähligen Details verstrickt, die nötig sind, um eine Leiche unter die Erde zu bringen, also habe ich mich bereit erklärt, einen Sarg auszuwählen, was sich als komplizierter erweist, als ich angenommen hatte. Von mir wird jetzt erwartet, die Holzausführung und die Zierleisten für etwas auszuwählen, was fast augenblicklich in der Erde versinken wird. Und nebenbei gefragt, auf welche Ausstattungsmerkmale legt eine Leiche denn eigentlich am meisten Wert?
    Der Ausstellungssaal für die Särge, im Keller des Bestattungsunternehmens eingerichtet, kommt mir vor wie der unwirkliche Hintergrund zu einer Sitcom, mit schimmernden lackierten Särgen, die auf dezente schwarze Podeste montiert sind, alle fein säuberlich auf den Hochglanz eines Showrooms poliert; ein Autohandel für die frisch Verstorbenen. In der Luft liegt der schwache Geruch von Lack und Möbelpolitur mit Zitronenduft. Benommen laufe ich zwischen den Särgen umher, denke mir, dass es im Grunde völlig egal ist, für welchen ich mich entscheide, habe aber trotzdem schreckliche Angst, den falschen zu wählen. Wenn man in seinem Leben so viele falsche Entscheidungen getroffen hat wie ich, dann kann man nicht umhin, eine gewisse unverfrorene Furchtlosigkeit gegenüber Entscheidungsprozessen zu entwickeln, aber hier geht es schließlich um die Ewigkeit, und dabei gruselt mir.
    Mein Verkäufer, Richard, ist beleibt und angespannt, mit einem permanent eingegrabenen Stirnrunzeln, das tiefes Mitgefühl zum Ausdruck bringen soll. Ich kann mich erinnern, dass er in der Nachbarschaft wohnte, ein trauriger, pummeliger Junge, der es nie schaffte, sich gleichzeitig beide Seiten seines Hemds in die Hose zu stecken. Er jagt mich nervös durch den Showroom, gefährlich schwitzend und keuchend, während er mich über die Vorzüge der etwas gehobeneren Särge aufklärt, und blickt leicht gequält, als ich mich rundheraus nach den Preisen erkundige, als. fände er die Erörterung von Geld in diesem Ambiente vulgär und unangemessen. Zweifellos arbeitet er auf Provisionsbasis, was ich in Anbetracht der Umstände seines Berufs als geschmacklos empfinde. Die kollektive Trauer von Bush Falls wird seine Kinder durchs College bringen.
    Schließlich entscheide ich mich für den Exeter in Mahagoniausführung, der auf fünftausendsechshundert Dollar kommt, ohne Umsatzsteuer. Ich spiele für einen Augenblick mit dem Gedanken, um den Preis zu

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