Stadtfeind Nr.1
erreichen.
Wenn Sie glauben, mit einem drei Pfund schweren Luftgewehr und fünf Pfund Ausrüstung in einem Tornister in vollem Tempo über einen drei Meter hohen Maschendrahtzaun zu klettern sei ein Kinderspiel, dann irren Sie sich. Oder Sie sind siebzehn. Ich werfe mich gedankenlos an den Zaun, zuversichtlich, dass ich im Sog meiner flüchtenden Landsleute über ihn hinweg fliegen werde, die ihn bereits mühelos überwunden haben. Ich schaffe es problemlos hoch und über die Oberkante, aber auf dem Weg nach unten verhakt sich der Riemen meines Gewehrs an einem der Zaunpfosten, ich werde zurück in den Zaun gerissen, und der Riemen rutscht mir von der Schulter und hängt mich am Hals auf. Einen kritischen Augenblick lang baumele ich so, gedemütigt und dem Tod durch den Strick gefährlich nah. Es ist nicht mein Leben, das in diesen Sekunden vor meinen Augen vorbeifliegt, so entschlossen bin ich, selbst in diesem Augenblick Klischees um jeden Preis zu vermeiden, sondern vielmehr ein hellseherischer Blick auf die amüsiert grinsenden Münder und verdrehten Augen von Verwandten und Bekannten, wenn sie die Zeitungsberichte über meinen unrühmlichen Abgang lesen. In diesem Augenblick bemerken Jared und Mikey schließlich meine Zwangslage und eilen mir zu Hilfe, stemmen mich hoch und befreien den Riemen von dem Zaunpfosten. Als sie mich herunterhieven, bleibt mein Bein mit einer vorstehenden Schnalle im Zaun hängen. Ein lautes, reißendes Geräusch folgt, als meine Khakihose von der Schienbeinmitte bis zum Aufschlag zerfetzt wird, und ich spüre das heiße Kratzen von kaltem Metall, das meinen Knöchel zerschreddert. Ich bin stolz, dass ich nicht aufschreie, obwohl ich, nachdem meine Luftröhre erst vor kurzem von dem erdrückenden Gewehrriemen befreit wurde, vermutlich ohnehin kaum mehr als ein heiseres Krächzen zu Stande gebracht hätte.
Ich humpele vorsichtig zu dem Mercedes zurück, den Jared bereits angelassen hat, und Mikey hilft mir hinein und klopft mir zum Abschied freundschaftlich auf die Schulter, als ich auf meinen Sitz falle. »Such my Autococker«, sagt er mit einem sardonischen Grinsen. »Das war klasse, Mann.« Er verschwindet in die Nacht.
Jared legt schwungvoll den Gang ein und beginnt den Mercedes über den Feldweg zu lenken. Genau vor uns schleudern die wild rotierenden Reifen von Mikeys Jeep einen kleinen Kieselstein hoch, der mit der Schlagkraft einer Kugel gegen meine Windschutzscheibe prallt. Es folgt ein scharfes splitterndes Geräusch, und eine kleine kreisförmige Bruchstelle entsteht in dem deutschen Glas, genau unter dem Rückspiegel, mit drei oder vier spinnenartigen Fangarmen, die sich eifrig in unterschiedliche Richtungen ausstrecken. »Hoppla«, sagt Jared.
»Fahr einfach weiter«, sage ich. Und während mein Neffe uns mit hohem Tempo durch die Nacht steuert, ist meine tastende Hand auf einmal klebrig vom Blut meines verletzten Knöchels, und durch einen nicht leicht erkennbaren Zusammenhang erinnere ich mich daran, dass ich vergessen habe, Carly anzurufen, wie ich es versprochen hatte.
22
Ich bin fast ein wenig enttäuscht, als es zu keiner Verfolgungsjagd kommt. Es ist gut möglich, dass die Wachleute den Vorfall nicht telefonisch gemeldet und sich stattdessen feierlich Geheimhaltung geschworen haben, um nicht erklären zu müssen, wie sie von einer Bande von Highschoolkids mit Farbballgewehren überwältigt werden konnten. Wie auch immer, die Flucht gelingt, und bald parken wir in dem Waldstück über den Wasserfällen des Bush River.
Ich sehe meinen Neffen an, der nachdenklich auf das tosende Wasser blickt. »Jared«, sage ich. »Ich will, dass wir nur Freunde sind.«
Er lacht. »War das zu deiner Zeit auch schon der Ort dafür?«
»Meine Eltern haben es hier vermutlich auch schon getrieben.«
Jared wühlt in den zahlreichen Taschen seiner Cargohose und fischt einen Augenblick später triumphierend einen leicht geknickten, aber ansonsten völlig intakten Joint hervor. »Rauchst du mit?«, sagt er und drückt auf den Zigarettenanzünder auf dem Armaturenbrett.
»Ob du's glaubst oder nicht, das ist bereits der zweite Joint, den ich heute Abend zu Gesicht bekomme.«
»Gut«, sagt Jared und zündet ihn an. »Dann bist du ja schon instruiert.« Er pafft zweimal kurz an dem Joint, bis er richtig brennt, und nimmt dann einen langen, bedeutungsvollen Zug, bevor er ihn mir weiterreicht, während er selbst den Atem anhält. Erst will ich ablehnen, aber der pochende Schmerz in
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