Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
Elektrokabel um die Knöchel, rannte zur Tür hinaus und schloß hinter sich ab.
Sie lehnte fast eine Minute an der Tür und schnappte nach Luft. Drinnen schrie Bambi ihre Verwünschungen. Oben klingelte jemand an der Haustür.
Mrs. Madrigal stieg langsam die Treppe hoch und hoffte im stillen, daß der Besucher den Krach nicht gehört hatte.
Als sie den Mann vor der Tür sah, hätte sie am liebsten in seinen Armen geweint.
Es war Jon Fielding.
Auf Hausbesuch
Der Doktor kniete neben seiner Patientin, die mit dem Gesicht nach unter auf dem roten Samtsofa in ihrem Salon lag. »Okay … beißen Sie die Zähne zusammen, Mrs. M. Es brennt gleich ein bißchen.«
Ihr Körper verspannte sich, als er das kleine Loch in ihrem Rücken sanft betupfte. »Braves Mädchen«, sagte er. »Es ist nicht annähernd so schlimm, wie’s ausgesehen hat. Wie haben Sie das überhaupt angestellt?«
»Ach, ganz dumm«, sagte Mrs. Madrigal. »Ich bin ausgerutscht und gegen einen Nagel geschlagen.«
»Wo?«
»Äh … im Keller. Muß es genäht werden?«
»Nicht nötig. Ein Pflaster tut’s auch. Haben Sie welches da?«
»Im Badezimmerschränkchen«, sagte die Vermieterin. »Warten Sie, ich …?«
»Sie bleiben, wo Sie sind. Sie sind unpäßlich.«
Er kam gleich wieder zurück und drückte das Pflaster vorsichtig fest. »Das wär’s«, sagte er und stand auf. »Ich denke, Sie sind bald wieder auf dem Damm.«
Als sie sich aufsetzte, zupfte Mrs. Madrigal den blutgetränkten Kimono zurecht und band sich die seidene Kordel wieder um die Taille. »Tja«, sagte sie liebevoll lächelnd zu Jon, »wie haben wir’s ohne Doktor im Haus nur ausgehalten?«
Jon zuckte mit den Schultern. »Ich hab eigentlich gehofft, daß Sie mir das erzählen.«
Mrs. Madrigal musterte ihn kurz und verglich ihn mit dem schnieken Arrow-Collar-Blonden, der fast drei Jahre mit Michael zusammengelebt hatte. Er kam ihr dünner vor, ein bißchen hager sogar, doch sein klassisch nordisches Gesicht war schöner denn je. »Wie alt bist du jetzt?« fragte sie.
Lächelnd antwortete er: »Dreiunddreißig.«
»Es steht dir«, sagte sie.
»Danke. Sie sehen auch ziemlich gut aus. Abgesehen von der Wunde, meine ich.«
Sie verbeugte sich graziös. »Ich freu mich, daß du da bist, Jon. Wirklich. Michael ist oben, wenn du ihn sehen willst.« Um wieder etwas Ordnung in ihr Leben zu bringen, drückte sie mit beiden Händen an ihrer Frisur herum. »Du hast diesen Umweg doch sicher nicht eingeplant.«
»Eigentlich schon«, sagte Jon. »Ich hab ja bei Ihnen geklingelt, nicht?«
»Dann fühle ich mich geehrt.«
»Ich hab gehofft, Sie könnten mich über den Stand der Dinge aufklären.«
»Ach so … ich verstehe.« Sie zupfte an einer Strähne über dem Ohr.
»Ich habe mit Michael lange nicht mehr gesprochen, und ich bin nicht sicher, ob …« Er hörte auf und warf den Kopf herum wie ein Tier, das Witterung aufnimmt. »Was war das?« fragte er.
»Was?«
»Ich weiß nicht recht … ich glaube, es hat jemand geschrien. Haben Sie nichts gehört?«
»Vielleicht sind’s die Kinder«, sagte Mrs. Madrigal.
»Die Kinder?«
»Unten auf der Leavenworth … mit ihren Skateboards. Das hört sich manchmal ziemlich schaurig an.«
»Es hat sich aber näher angehört.«
»Weißt du was, mein Lieber … wenn du schon mit mir plaudern willst, warum spazieren wir dann nicht nach North Beach hinunter? Der Abend ist so mild, und wir könnten irgendwo nett essen.«
»Gern«, sagte Jon, »aber ich zahle, okay?«
»Dein Rendezvous steht«, sagte Mrs. Madrigal. Nachdem sie sich umgezogen hatte, drängte sie ihn durch die Diele und plapperte dabei so laut wie möglich. Bambis Ausbruch schien vorbei zu sein, doch Mrs. Madrigal stieß einen unhörbaren Seufzer der Erleichterung aus, als sie und Jon außer Hörweite waren.
Sie setzten sich zum Essen an einen Fensterplatz des Washington Square Bar und Grill.
»Und, wie geht’s ihm?« fragte Jon, nachdem sie bestellt hatten.
Mrs. Madrigal schob nachdenklich die Unterlippe vor. »Er ist ein bißchen rastlos, glaube ich.«
»Wie kommt das?«
»Na ja, er betont andauernd seine Unabhängigkeit, aber ich glaube nicht, daß er sie besonders genießt.«
»Er hat aber Freunde«, sagte der Doktor.
»Unmengen«, sagte die Vermieterin.
»Das ist gut.«
»Freunde«, sagte die Vermieterin lächelnd, »aber keinen Freund. Das wolltest du doch wissen, oder?«
Der Doktor wurde rot. »Vermutlich ja.«
»Schön.«
»Aber es ist schon so
Weitere Kostenlose Bücher