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Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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laut, daß Emma ins Zimmer gelaufen kam.
    »Um Himmels willen, Miss Frannie, was …?«
    »Miss DeDe ist am Telefon, Emma! Unsere Kleine kommt nach Hause. Unser kleiner Engel kommt nach Hause! DeDe … DeDe, bist du noch dran?«
    »Ja, Mutter, ich bin noch dran.«
    »Gott sei Dank! Aber wo bist du, mein Schatz?«
    »Äh … in Arkansas.«
    »In Arkansas? Mein Gott, was machst du denn dort?«
    »Man hält mich hier fest. In Fort Chaffee. Kannst du mir eine Kreditkarte schicken oder so was?«
    »Wer hält dich fest? Doch nicht … o Gott, doch nicht diese Jonestown-Leute?«
    »Nein, Mutter. Die Regierung. Die amerikanische Regierung. Ich bin im Übergangslager für schwule und lesbische Kubaflüchtlinge.«
    »Was?«
    »Das ist eine lange Geschichte, Mutter.«
    »Sag ihnen doch, daß sie dich freilassen sollen, Herrgott noch mal! Sag ihnen, wer du bist! Sag ihnen, daß es sich um einen Irrtum handelt, DeDe!«
    Eine lange Pause. Dann:
    »Du hast nicht verstanden, Mutter. Ich bin ein lesbischer Kubaflüchtling.«

Die Brustwehren
    Michael hatte es schon x-mal gesehen, doch das Schild neben dem Fußweg nach Lands End jagte ihm jedesmal wieder einen köstlichen Schauer über den Rücken: ACHTUNG – AUF DEN KLIPPEN UND IM BRANDUNGSBEREICH EXTREME GEFAHR – Oft schon wurden Menschen von den Felsen gespült und ertranken.
    »Ich liebe dieses Ding«, erzählte er Mary Ann und Brian, als das Trio an dem Schild vorbeikam. »Es hat so was … von Daphne Du Maurier. › Oft schon wurden Menschen von den Felsen gespült und ertranken. ‹Das ist beinahe lyrisch. Einen staatlichen Schildermaler mit poetischer Ader findet man wohl nur hier bei uns.«
    Mary Ann musterte das Schild kurz und ging weiter die Treppe aus Eisenbahnschwellen hinunter. »Ich weiß nicht, warum«, sagte sie, »aber mir geht es auch so.«
    »Mir auch«, ergänzte Brian, »und dabei bin ich gar nicht so vollgeknallt wie ihr zwei.«
    »Das liegt daran, daß wir alle drei Jeanettes sind«, klärte Michael die beiden auf. »Jeanettes fallen solche Sachen immer auf.«
    Mary Ann warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. »Ich wage kaum zu fragen.«
    Michael grinste. »Nur so eine neue Theorie von mir. Ich bin nämlich zu dem Schluß gekommen, daß es in San Francisco eigentlich nur zwei Arten von Menschen gibt, und zwar unabhängig von Rasse, Religion, Hautfarbe oder … was gab’s da noch?«
    »Sexueller Orientierung«, ergänzte Brian.
    »Danke«, sagte Michael.
    Mary Ann verdrehte die Augen. »Also, welche zwei Arten gibt’s?«
    »Jeanettes«, sagte Michael, »und Tonys. Jeanettes sind die Leute, für die ›San Francisco‹ in der Fassung von Jeanette MacDonald die Kennmelodie der Stadt ist. Tonys finden, daß es ›I left my heart in San Francisco‹ von Tony Bennett ist. Hier hängt jeder dem einen oder dem anderen Camp an … mal rein bildlich gesprochen.«
    Brian runzelte nachdenklich die Stirn. »Das klingt zwar plausibel, aber es ändert sich immer wieder. Mary Ann war zum Beispiel mal eine Tony. Manche Leute wissen eben nicht …«
    »Ich war nie eine Tony«, empörte sich Mary Ann.
    »Aber klar«, sagte Brian amüsiert. »Das weiß ich noch genau. Mein Gott, du hattest sogar einen Pet Rock.«
    »Du weißt genau, daß der Connie Bradshaw gehört hat, Brian.«
    »Das ist doch dasselbe. Du hast bei ihr gewohnt. Der Pet Rock hat bei dir zu Hause rumgelegen.«
    Mary Ann suchte bei Michael Unterstützung. »Er hat sie im Waschsalon abgeschleppt, und mich belehrt er in punkto Geschmack.« Sie wandte sich wieder an Brian. »Wenn ich mich nicht irre, hast du Frauen noch ›Puppen‹ genannt, als wir uns kennengelernt haben.«
    »Du irrst dich nicht«, sagte Brian.
    »Und?«
    Brian zuckte mit den Schultern. »Frauen waren noch Puppen, als wir uns kennengelernt haben.«
    »Apropos«, sagte Mary Ann, ohne sich mit seiner bewußten Geschmacklosigkeit abzugeben. »Kannst du bei den nackten Frauen diesmal ein bißchen vorsichtiger sein?«
    »Aber, aber«, protestierte Brian. »Ich hab doch bloß mit ihnen geredet. Wie sollte ich denn wissen, daß es Lesben waren.«
    »Solltest du auch nicht«, sagte Mary Ann.
    »Ach was«, sagte Brian. »Das gleicht sich sowieso alles aus. Die meisten Typen da unten denken doch bestimmt auch, daß ich schwul bin.«
    Michael lächelte. »Oder sie wünschen sich, daß du es wärst.«
     
    Nach San-Francisco-Maßstäben war es ein Hundstag, einer von den Tagen, an denen sich die eine Hälfte der Bevölkerung bei der anderen krank meldet.

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