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Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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dort tanken und uns die Wettermeldungen ansehen. Sind Sie sicher, daß Sie auf Little Diomede übernachten wollen?«
    »Nicht ganz«, sagte DeDe. »Kommt drauf an.«
    »Holiday Inn gibt’s dort keins«, sagte Willie lächelnd.
    »Wir kommen auch so zurecht.«
    »Sicher«, sagte der Pilot. »Vielleicht kann Andys Familie Sie aufnehmen.« Er zwinkerte Mary Ann zu. Offenbar hatte er gespürt, welche Frage sich ihr sofort gestellt hatte. »Keine Bange. Sie haben noch nie in Iglus gewohnt. Meistens in Hütten aus Erdsoden, die auf Stelzen stehn. Vor sechs oder sieben Jahren hat ihnen das Bureau of Indian Affairs ein paar neue Häuser hingestellt. Mit Wänden aus Polyurethan … entschieden wärmer.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Mary Ann. Im stillen war sie allerdings betrübt, daß man selbst die Eskimos schon so weit angepaßt hatte, daß Kunststoffe für sie selbstverständlich waren.
    »Was ist mit der Verteidigung?« fragte DeDe, während die kleine einmotorige Cessna die Küste nordwestlich von Nome entlangflog.
    »Was soll damit sein?«
    »Na ja, ich meine … wo Rußland nur vier Kilometer weg ist.«
    »Andy hat erzählt«, sagte Willie Omiak, »daß sie drei M-14-Gewehre, einen Granatwerfer und eine Granate haben. Als Scout hat man nicht grade einen Ganztagsjob.«
    »Als Scout?«
    »Als Eskimo Scout«, erklärte der Pilot. »Das ist die offizielle Bezeichnung für die Alaska National Guardsmen. Die meiste Arbeit gibt’s wahrscheinlich im Winter, wenn man einfach so übers Eis gehen kann. Aber heutzutage macht das kaum noch jemand. 47 haben die Russen den Vater von Andy fast zwei Monate festgehalten, weil er Verwandte besuchen wollte und dazu über die Meerenge marschiert ist. Mein Gott, es waren nur Verwandte. Vom Kalten Krieg hat hier keiner was gewußt.«
    »Haben die Russen auf Big Diomede Streitkräfte stationiert?« fragte Mary Ann.
    Willie Omiak grinste. »Die sind ungefähr so einschüchternd wie die unsrigen. Ein Kerl sitzt auf dem höchsten Punkt der Insel in einer kleinen Hütte.«
    »Was macht er?«
    »Er schaut«, antwortete der Pilot. »Und unser Mann schaut zurück. Niemand hat noch einen Grund, nach Big Diomede zu fahren. Unsere Verwandten sind in den Fünfzigern zum Großteil aufs sibirische Festland verfrachtet worden. Und nach Little Diomede zieht’s auch niemand mehr. Was hat Sie eigentlich auf die Idee gebracht?«
    »Wir suchen jemand«, sagte DeDe.
    »Einen Eskimo?«
    »Nein«, antwortete DeDe. »Einen Amerikaner.«
    Willie Omiak sah seinen Passagier an, drehte sich dann um und sagte augenzwinkernd zu Mary Ann: »Wir vergessen mal, daß sie das gesagt hat, was?«
     
    Sie schienen aus dem Nichts aufzutauchen – zwei schroffe Granitfelsen, geeint in der Abgeschiedenheit, getrennt durch die Politik. Auf dem kleineren war ein Dorf zu sehen, ein Häufchen schindelverkleideter und mit Teerpappe gedeckter Häuser, die sich an den Fuß einer fünfhundert Meter hohen Klippe schmiegten.
    »Das ist Ingaluk«, sagte Willie Omiak, als sie zwischen den beiden Inseln dahinflogen. »Dort unten ist es Donnerstag. Auf Big Diomede ist es schon Freitag.«
    Mary Ann spähte hinunter. »Sie meinen …?«
    »Wir fliegen direkt über der Internationalen Datumsgrenze.« Er grinste sie über die Schulter hinweg an. »Finden Sie’s hier verwirrend genug?«
    Er hatte recht. Es war unheimlich. Zwei Kontinente, zwei Ideologien, zwei Nationen – fein säuberlich getrennt durch heute und morgen. Gab es einen sinnigeren Ort für die Suche nach zwei verängstigten Kleinkindern, deren Schicksal sich gefährlich zwischen zwei Polen bewegte?
    Als die Cessna nach unten sauste, konnte Mary Ann eine Schule und eine Kirche erkennen. Dann tauchte die Landebahn auf: ein mit Ölfässern markiertes Rechteck aus Asphalt in der Nähe des Strands und ein halbes Dutzend Leute, die auf ihre Landung warteten. »Da drüben ist Andy«, schrie Willie Omiak, als das Flugzeug über das Rollfeld rumpelte.
    »Er freut sich anscheinend mächtig über Ihren Besuch«, sagte Mary Ann.
    Der Pilot klopfte auf die Ledertasche neben sich. »Ich hab den neuen Playboy dabei«, sagte er grinsend.
    Mary Ann ließ ihr Kichern sein, als sie die nackte Angst in DeDes Augen sah. Sie hatten ihre Jagdbeute bis ans Ende der Welt verfolgt. Was, wenn es zu spät war?

Redaktionsschluß
    Prue saß an ihrer Coronamatic und weinte still in sich hinein.
    Da ihr Dienstmädchen, ihre Sekretärin und ihr Chauffeur sich im Haus aufhielten, war ein sichtbares

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