Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
kicherte in sich hinein, weil er genau verstand, was sie damit sagen wollte. Wenn er ein wahrer Kiffer war – und manchmal fand er, daß er einer war –, dann war diese abgedrehte Sechzigjährige mit den zerzausten Haaren und den alten Kimonos die Versucherin, die ihn dazu verführt hatte. Nun, er hätte es im Leben viel schlechter treffen können.
Sie brachte zwei Porzellanhumpen mit Kaffee und setzte sich zu ihm an den Tisch. »Mary Ann war heute schon in aller Herrgottsfrühe auf den Beinen.«
»Sie ist im Silicon Valley«, sagte er. »Mr. Packard macht eine Führung für die Queen.«
»Mr. Packard?«
»Der Computermensch. Unser ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium.«
»Ah. Kein Wunder, daß ich mich nicht an ihn erinnere.«
Er sah sie lächelnd an, nahm seinen Kaffee und pustete den Dampfkringel herunter. »Er schenkt der Queen einen Computer.«
Sie machte ein verblüfftes Gesicht. »Was will die Queen mit einem Computer?«
Er zuckte mit den Schultern. »Es hat was mit Pferdezucht zu tun.«
»Na so was.«
»Ich weiß. Ich kann’s mir auch nicht vorstellen.«
Sie lächelte und nippte eine Weile an ihrem Kaffee, ehe sie fragte: »Hast du mal was von Mona gehört?«
Es war eine alte Wunde, doch sie schmerzte wie eine frische. »Ich hab aufgehört, mir darüber Gedanken zu machen.«
»Na, na.«
»Es hat keinen Sinn. Wir sind für sie abgemeldet. Nicht mal zu einer Postkarte hat sie sich aufraffen können, Mrs. Madrigal. Ich hab nicht mehr mit ihr gesprochen seit mindestens … anderthalb Jahren.«
»Vielleicht denkt sie, wir sind böse mit ihr.«
»Ach, kommen Sie. Sie weiß, wo wir sind. Es hat sich einfach so ergeben, das ist alles. Man verliert sich aus den Augen. Wenn sie von uns hören wollte, würde sie dafür sorgen, daß ihre Nummer im Telefonbuch steht.«
»Ich weiß, was du denkst«, sagte sie.
»Was?«
»Nur eine dumme alte Thekla würde sich grämen wegen einer Tochter, die schon auf die Vierzig zugeht.«
»Nein, denke ich nicht. Sondern, was für eine dumme alte Thekla Ihre vierzigjährige Tochter ist.«
»Aber, mein Lieber … was, wenn wirklich was mit ihr ist?«
»Na ja«, sagte Michael, »Sie sind es, die von uns beiden zuletzt von ihr gehört hat.«
»Vor acht Monaten.« Die Vermieterin runzelte die Stirn. »Ohne Absender. Sie schrieb mir, daß sie gut zurechtkommt – ›in einem kleinen privaten Druckereibetrieb‹, was immer das sein soll. Es sieht ihr nicht ähnlich, nur so Andeutungen zu machen.«
»Ach ja?«
»Na, jedenfalls nicht in dieser Form, mein Lieber.«
Als Mona zu Beginn des Jahrzehnts nach Seattle ziehen wollte, hatte Michael sie fast angefleht, nicht zu gehen. Doch Mona war stur geblieben – Seattle sei die Stadt der achtziger Jahre. »Na, dann geh doch«, hatte er höhnisch gesagt. »Du stehst auf Quaaludes … da wirst du von Seattle begeistert sein.« Offenbar hatte er das richtig gesehen. Mona war nicht mehr zurückgekehrt.
Mrs. Madrigal sah ihm an, wie sehr es ihm immer noch zu schaffen machte. »Sei nicht so streng mit ihr, Michael. Vielleicht hat sie Probleme.«
Das wäre nicht neu gewesen. Er konnte sich kaum erinnern, wann seine einstige Mitbewohnerin einmal nicht am Rand irgendeiner düsteren Kalamität gestanden hatte. »Ich hab es Ihnen doch gesagt«, meinte er ruhig. »Ich denke inzwischen nicht mehr groß daran.«
»Wenn es einen Weg gäbe, ihr das mit Jon zu sagen …«
»Gibt’s aber nicht. Und wird es vermutlich auch nie geben. Sie läßt ja keinen Zweifel daran, daß sie …«
»Sie hat Jon sehr gemocht, Michael. Ich meine, sie haben sich vielleicht ab und zu gezankt, aber sie hatte ihn genauso gern wie wir. Daran darfst du nie zweifeln.« Sie stand auf und fing an, Eier in eine Schüssel zu schlagen. Sie wußten beide, daß es nichts nützte, das Thema zu vertiefen. Auch noch so viel Wünschen und Hoffen konnte nichts ändern. Als Mona nach Norden geflohen war, hatte sie mehr als nur die Stadt hinter sich gelassen. Wieder bei Null anzufangen, war die einzige emotionale Fähigkeit, die sie sich je zugelegt hatte.
Mrs. Madrigal schien seine Ansicht zu teilen. »Ich hoffe, sie hat jemand«, murmelte sie. »Irgend jemand.«
Dem hatte er nichts hinzuzufügen. Bei Mona konnte es durchaus ›irgend jemand‹ sein.
Auf der Fahrt zur Arbeit versuchte er, nicht an sie zu denken, und konzentrierte sich statt dessen auf den tropfenden Riß im Verdeck seines VW-Cabrios. Ein Autoradiodieb hatte das Verdeck vor drei
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