Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
nicht, ob wir am Samstag können, aber wenn …«
»Von W kommt mit Sicherheit jemand, und die vom Hollywood Reporter haben mir versprochen, daß sie kommen. Sogar Dr. Noguchi kommt … und ich finde, das ist auch das mindeste, was er tun kann, denn schließlich ist es durch ihn publik geworden, als Bix … Sie wissen schon … seinen Abgang gemacht hat.«
Michael hörte sich das alles mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu an. Mit diesem offenherzigen Schwadronieren hatte sich Theresa Cross auf San Franciscos gesellschaftlicher Stufenleiter ihre ganz persönliche Sprosse erobert. Sie mochte zuweilen etwas gewöhnlich sein, doch sie war alles andere als langweilig. Außerdem war sie durch den Tod ihres Mannes (als Folge einer Überdosis Heroin im Tropicana Motel in Hollywood) eine sehr reiche Frau geworden.
Wenn die hiesigen Gastgeberinnen, wie so oft in San Francisco, eine »extra Frau« brauchten, war auf Theresa Cross immer Verlaß. Hauptsächlich ihrem öffentlichen Image verdankte sie es auch, daß Michael sie einmal in Jons Gegenwart »das Schwulenmuttchen der Bourgeoisie« genannt hatte. Jons Reaktion war typisch (und entnervend) zurückhaltend gewesen: »Mag sein … aber sie ist unser Ersatz für Bianca Jagger.«
Mary Ann, von Theresas »Offenheit« aus der Fassung gebracht, suchte noch immer nach Worten. »Dieses Lokal ist wirklich reizend, nicht?«
Die Rockwitwe verzog das Gesicht. »Letzte Woche war es viel witziger.« Ihr Radarblick glitt suchend durch den Raum und blieb an einer kleinen Gestalt hängen, die am Eingang stand. Alle schienen sie gleichzeitig zu erkennen.
»Meine Güte«, murmelte Brian, »Bambi Kanetaka.«
»Ich muß los«, sagte Theresa und setzte sich in Richtung auf ihr neues Opfer ab. »Ich seh Sie dann bei der Versteigerung.«
»Ist gut«, kam es schwach von Mary Ann.
Die Rockwitwe, schon zwei Tische weiter, schrie ihr zu: »Zehn Prozent für Wohltätigkeitszwecke!«
»Genau«, sagte Michael, der es sich nicht verkneifen konnte. »Und neunzig Prozent zieht sie sich in die Nase.«
»Mouse … sie kann dich hören.«
Er schnaubte verächtlich. »Die hört keinen Pieps mehr.« Er zeigte zum Alkoven am Eingang, wo Mrs. Cross bereits begonnen hatte, Bambi Kanetaka zu keilen.
Mary Anns unbefriedigter Ehrgeiz brannte hinter ihren Augen wie ein kleines Buschfeuer. »Na ja«, sagte sie tonlos, »ich schätze, eine Moderatorin hat Vorrang vor einer Reporterin.«
Ein lastendes Schweigen wurde schließlich von Mrs. Madrigal unterbrochen, indem sie nach der Rechnung griff. »Nicht bei uns zu Hause, meine Liebe. Sollen wir auf dem Heimweg noch ein bißchen gelato mitnehmen?«
Endlich im Bett, hatte Michael einen unruhigen Schlaf. Der Alkohol setzte ihm zu, und es gab ungeklärte Fragen, die ihm keine Ruhe ließen. Wäre Jon dagewesen, hätte er ihn vielleicht geweckt und ihm gesagt, daß er Theresa Cross ein Arschloch fand; daß er auch auf eine Bianca Jagger immer ganz gut hatte verzichten können; und daß er das nervöse Hecheln nach Chic für eine Schwäche hielt, die eines Doktors der Medizin nicht würdig war.
Er wälzte sich aus dem Bett und tastete nach dem Telefon. Im Schein der Straßenlaterne von der Barbary Lane wählte er Neds Nummer. Sein Partner meldete sich beim zweiten Läuten.
»Ich bin’s«, sagte Michael.
»He, Kleiner.«
»Ist es zu spät, um mich noch zu entscheiden?«
»Wegen was?«
»Du weißt schon … Death Valley.«
»Aber nein. Prima. Wie wär’s mit diesem Wochenende?«
»Abgemacht«, sagte Michael.
Hallo, Seemann!
Regen prasselte auf die Pressetribüne am Pier 50. Mary Ann duckte sich unter den Schirm ihres Kameramanns und löffelte ein Frühstück, bestehend aus Cheerios und Milch. »Wer hat das denn spendiert?« fragte sie.
»Die Leute vom Protokoll«, antwortete ihr Mitarbeiter. »Es ist ein Witz.«
Sie warf ihm einen mißmutigen Blick zu. »Kann man wohl sagen.« Sie war es längst leid geworden, die nette, aber farblose Engländerin durch den Regen zu verfolgen. Sie konnte sich weiß Gott was Besseres vorstellen, als hier rumzustehen und kaltes Müsli zu löffeln.
»Es ist ein richtiger Witz, Mary Ann«, sagte ihr Kameramann mit einem nachsichtigen Lächeln. »Die Queen verläßt uns, klar? Und wir sagen der Queen ›Cheerio‹ … kapiert?« Ihrer Miene war offenbar sofort anzusehen, was sie davon hielt, denn ihr Kollege lachte in sich hinein und fügte sarkastisch hinzu: »Das macht’s kein bißchen leichter,
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