Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Wochen mit dem Messer aufgeschlitzt, und das Stück Duschvorhang, mit dem er die Stelle notdürftig abgedichtet hatte, mußte bei Regen ständig zurechtgezupft werden. Kein Wunder, daß der Wagen wie ein vergammeltes Terrarium roch. Auf der schimmeligen Hutablage hinter dem Rücksitz hatte er tatsächlich schon ersten Graswuchs entdeckt.
Als er God’s Green Earth erreichte, schüttete es wie aus Kübeln. Ein letztes Mal boxte er von unten gegen den Streifen Plastik und rannte dann wie ein Gehetzter zum Büro der Gärtnerei. Ned war bereits da, saß bequem zurückgelehnt auf seinem Stuhl und hatte die großen behaarten Hände hinter dem kahlen Kopf verschränkt. »Dieser Riß ist echt Scheiße, was?«
»Zum Kotzen.« Michael schüttelte sich wie ein durchnäßter Hund. »Die Karre bildet allmählich ein eigenes Ökosystem.« Er schaute besorgt aus dem Fenster, hinter dem sich die Primeln zu einem impressionistisch verwaschenen Fleck aufgelöst hatten. »Herrje. Wir sollten lieber eine Zeltplane aufspannen.«
»Wozu?« fragte Ned ungerührt.
»Für die Setzlinge. Der Regen tatscht sie ganz zusammen.«
Sein Partner lächelte stoisch. »Hast du in letzter Zeit mal ins Auftragsbuch gesehn? Die Nachfrage nach Primeln ist nicht grade riesig.«
Damit hatte er natürlich recht. Der Regen hatte das Geschäft drastisch reduziert. »Trotzdem. Meinst du nicht …?«
»Scheiß drauf«, sagte Ned. »Machen wir doch dicht.«
»Was?«
»Machen wir einen Monat zu. Wird uns nicht weh tun. Schlimmer als jetzt kann’s nicht werden.«
Michael setzte sich und starrte ihn an. »Und was machen wir in der Zeit?«
»Tja … wie wär’s mit einem Trip nach Death Valley?«
»Ach ja.«
»Im Ernst.«
»Ned … Death Valley?«
»Warst du schon mal da? Es ist das reinste Paradies. Wir könnten mit sechs oder acht Mann zelten und Trips einwerfen. Nach diesem Regen werden die Blumen da nur so sprießen.«
Michael war alles andere als begeistert. »Und solange es regnet?«
»Wir werden Zelte haben, Pussy. Komm schon … nur für ein Wochenende.«
Michael hätte niemals die Panik erklären können, die ihn bei der Aussicht auf unbegrenzte Freizeit überfiel. Was er im Augenblick brauchte, war ein geregelter Tagesablauf, eine feste Routine. Das letzte, was er wollte, war Zeit zum Nachdenken.
Ned probierte es mit etwas anderem. »Ich werd auch nicht versuchen, dich zu verbandeln. Wir sind einfach ’ne Gruppe von Jungs.«
Unwillkürlich mußte Michael schmunzeln. Ned versuchte ständig, ihn zu verbandeln. »Nee danke. Aber geh du nur. Ich werde hier die Stellung halten. Ich tu’s gern. Wirklich.«
Ned musterte ihn einen Augenblick. Dann sprang er auf und begann, die Samentüten im Drehständer zu ordnen. Auf Michael wirkte es wie eine defensive Geste. »Bist du sauer?« fragte er.
»Nö.«
»Mir ist zur Zeit einfach nicht nach so was, Ned.«
Sein Partner hörte mit der Sortiererei auf. »Wenn du mich fragst … ein guter Wichsbruder täte dir richtig gut.«
»Ned …«
»Ja, schon gut. Vergiß es. Für heute hab ich genug den Lebensberater gemimt.«
»Gut.«
»Aber ich geh auf jeden Fall. Wenn du hierbleiben und zusehen willst, wie die Wurzeln faulen, von mir aus.«
»Schön.«
Während der nächsten Stunde hatten sie sich wenig zu sagen. Sie beschäftigten sich mit kleinen Aufräumarbeiten, die bei normalem Geschäftsbetrieb immer liegenblieben. Ned stapelte Paletten im Schuppen, und als er fertig war, kam er wieder ins Büro und stellte sich vor Michael an den Schreibtisch. »Ich wollte dich bei mir haben, weißt du. Ich hab den Vorschlag nicht gemacht, um nett zu sein.«
Michael schaute hoch und lächelte ihn an. »Ich weiß.«
Ned zauste ihm die Haare und griff dann nach seiner Bomberjacke. »Ich bin zu Hause, falls du dir’s noch überlegst. Mach doch auch Schluß. Es hat keinen Sinn, hier rumzuhängen.«
Michael fuhr schließlich auch nach Hause und verbrachte den Rest des Nachmittags damit, seine Wäsche zu sortieren und den Kühlschrank zu putzen. Er suchte gerade nach einer neuen Betätigung, als Mrs. Madrigal kurz vor fünf bei ihm anrief.
»Ich hoffe, du hast dir fürs Abendessen noch nichts vorgenommen.«
»Bis jetzt nicht«, sagte er.
»Wunderbar. Ich habe ein edles neues Lokal entdeckt. Mexikanisch. Ich finde, wir sollten alle zusammen hingehen. Wir haben schon ewig kein Familienessen mehr veranstaltet.«
Er sagte zu, fragte sich aber, ob dieses Abenteuer nur seinetwegen organisiert wurde. Seine
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