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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Fenstern vorbei, bis er nach ein paar Blocks die Schwulenbar Coleherne erreichte. Hier waren offensichtlich die Lederjungs zu Hause. Er bestellte sich wieder einen Gin-Tonic, stellte sich vors Schwarze Brett und las Ankündigungen für Meetings der Schwulen Tories und für Tombolas zugunsten tauber Lesben.
    Als er sich an die hufeisenförmige Bar setzte, sah ihn der Mann auf der anderen Seite mit einem breiten Lächeln an. Eigentlich war er noch ein Junge, nicht älter als achtzehn oder neunzehn, und seine Haut hatte dieselbe Farbe wie das dunkle Ale, das er trank. Das Überraschende an ihm waren die Haare – weiche braune Ringellöckchen, die im Schein der Deckenlampe golden schimmerten und über seine spitzbübischen Augen hingen wie … na ja, wie der Schaum über den Rand seines Bierglases. Über einem weißen Hemd mit Fliege trug er einen ärmellosen Karopulli und hob sich damit wohltuend ab von den weißen Männern in schwarzem Leder, die ihn umgaben.
    Michael erwiderte das Lächeln. Sein Bewunderer drückte die Spitze des Zeigefingers an die Lippen und warf ihm eine angedeutete Kußhand zu. Michael hob zum Dank sein Glas. Der Junge glitt von seinem Barhocker, drängte sich durch die Menge der mürrischen Ledermänner und kam auf Michaels Seite der Bar.
    »Ich mag deine Jeans«, sagte er. »Ist mir gleich aufgefallen, als du reingekommen bist.«
    Michael sah kurz auf seine schwarze Levi’s hinunter. »Danke«, sagte er. »Ich sitze sie grade ein.«
    »Hast du sie selber gefärbt?«
    »Nein … nein, sie war schon so.«
    »Wirklich?«
    Er hörte sich an wie ein naives Kind aus einem Roman von Dickens, und Michael genoß es, daß ein Mann so eine Stimme haben und gleichzeitig so aussehen konnte. Aus der Nähe wirkte der Junge mit seinen vollen Lippen und der breiten Nase unverkennbar afrikanisch, doch sein helles Haar (heller als das von Michael) blieb ein Rätsel.
    »Ich hab bloß ’ne normale.« Stolz hakte der Junge die Daumen in die Taschen seiner 501 – sie paßte irgendwie nicht zu dem Rest seiner Aufmachung, aber er sah trotzdem ganz gut darin aus.
    »Die sieht man nicht oft«, sagte Michael. »Jedenfalls hier nicht.«
    »Zwanzig Pfund in der Fulham Road. Und ihr Geld wert, wenn du mich fragst. Gefällt dir der Laden hier?«
    »Ach … ja«, war alles, was er sich abringen konnte. Wenigstens bemühte man sich um die Atmosphäre einer normalen Kneipe. Trotzdem, es wirkte beinahe rührend, wie diese teiggesichtigen Briten versuchten, sich als derbe Rocker auszugeben. Sie waren einfach der falsche Menschenschlag für so was. Er fühlte sich an einen englischen Touristen erinnert, der so ziemlich seine ganze Zeit im Hinterzimmer des Boot Camp verbracht hatte, ohne jemals ein Wort zu sagen. Der Mann hatte gesunden Realitätssinn bewiesen. Sprüche wie »Lutsch mir diesen dicken, fetten Schwanz!« und »Ja, du willst es, gib’s zu«, klangen einfach lachhaft, wenn sie mit Oxford-Akzent genuschelt wurden.
    Der Junge warf einen abschätzigen Blick in die Runde. »Die sehn alle aus, als hätt sie der Hund verloren.«
    Michael lachte. »Ich weiß zwar nicht, was das bedeutet, aber es klingt nicht gut.«
    »Ist es auch nicht, Mann. Ist es auch nicht. Wo in den Staaten bist du her?«
    »San Francisco.«
    Der Junge wippte auf den Fersen. »Tja … Schwuchteln, wohin man sieht, eh?«
    Michael lächelte. »Kann man so sagen, ja.«
    »Die Queen war da, nicht?«
    »Stimmt.«
    »Hat in Strömen geregnet.«
    »Tut es auch noch, soviel ich weiß«, sagte Michael. »Genau wie hier.«
    Der Junge, noch immer auf den Fersen wippend, sah ihn von unten herauf an. »Also … wollen wir ran?«
    »Äh … wie?«
    »Rangehn, Mann.« Er klatschte die Handballen aufeinander, um zu zeigen, was er meinte.
    Michael lachte glucksend. »Ach so.«
    »Und?«
    »Danke, aber … ich bin für ’ne Weile davon runter.«
    »Hast was gegen Kanaken, eh?«
    Mit seiner direkten Art wollte er Michael offenbar verunsichern.
    »Nein, überhaupt nicht. Ich bin in letzter Zeit nur nicht besonders geil.«
    »Na, was machst du dann hier?«
    »Gute Frage. Die Sehenswürdigkeiten besichtigen, würde ich sagen.«
    »Na schön … ich bin eine davon. Ich heiße Wilfred.« Er streckte die Hand aus, und ein enormes Grinsen verbreitete sich wie ein Sonnenaufgang über sein Gesicht.
    Michael schüttelte ihm die Hand. »Ich bin Michael.«
    Die nächste halbe Stunde saßen sie nebeneinander an der Bar und sagten kaum etwas. Mittlerweile pafften die

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