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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Möchtegernlederjungs drauflos und wurden immer schriller, während draußen das Regenwasser gurgelnd in die Gullys strömte.
    »Hast keinen Schirm dabei, was?«
    »Nee. Dumm von mir.«
    »Dann komm. Ich hab einen.«
    Es klang wie eine weitere Aufforderung zum »Rangehn«, also griff Michael zu einer bequemen Ausrede. »Danke, aber ich glaub, ich bleib noch ein bißchen.«
    »Das wirst du bereuen«, meinte Wilfred.
    »Wieso?«
    »Schau mal, wieviel Uhr es ist, Mann.«
    Auf der Wanduhr, die ein Werbespruch für Dane Crisps zierte, war es Viertel vor elf.
    »Sie schließen gleich«, erinnerte ihn Wilfred. »Kein hübscher Anblick.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie drehen das Licht voll auf. Wenn dir die Kerle jetzt schon warzig vorkommen, dann warte erst mal, bis es elf ist!«
    Michael lachte. »Ein probates Mittel, um das Lokal zu leeren.«
    Der Junge grinste. »Die wissen, was sie tun. In Heteroschuppen drehn sie das Licht runter, wenn sie schließen wollen. Wer sagt da, wir wären alle gleich, eh? Komm jetzt … was ist dein nächster Stopp?«
    »Die U-Bahn. Ich fahr nach Hause.«
    »Super. Ich auch.« Er nahm Michael am Arm und bugsierte ihn durch die Menge zur Tür. Draußen spannte er seinen Regenschirm auf. »Hier … komm drunter, Mann.«
    Da Michael fast einen Kopf größer war als sein Begleiter, hielt er den Schirm, und Wilfred fungierte als Führer und Navigator – mit seiner rechten Hand, die in der rechten Gesäßtasche von Michaels Levi’s verschwand.
    »Prinzessin Diana hat mal da hinten ein Stück die Straße runter gewohnt … als sie noch Kindergärtnerin war. Stell dir das vor … auf dem Weg zu ihrem blöden Kindergarten hat sie immer an den ganzen Ledertypen vorbei gemußt. Paß auf! Der Lastwagen!«
    Michael sprang auf den Bordstein zurück. Ein gewaltiger Lkw rumpelte vorbei und verfehlte ihn nur knapp.
    Wilfred verdrehte die Augen, so daß sie unter dem Schirm wie zwei Scheinwerfer blitzten. »Noch so ’ne Nummer, und wir sind für alle Zeiten vereint.« Er zeigte auf die weißen Lettern, die auf den Straßenbelag gemalt waren. »Siehst du? (Rechts schauen) steht da. Wir schreiben es für euch Amis extra hin.«
    In flottem Tempo passierten sie einen Zeitungsstand, dann ein grellbuntes Restaurant – arabisch, wie es schien. Die Speisekarte war auf eine Spanplatte gemalt, und im Fenster, von rosa Lämpchen angestrahlt, sah man einen großen, zylindrischen, undefinierbaren Brocken Fleisch, der sich an einem senkrechten Spieß wie ein träger Brummkreisel drehte.
    »Da gehn die Kiffer essen«, sagte Wilfred. »Hat bis spät nachts geöffnet. Hast du einen Liebhaber zu Hause in den Staaten?«
    Michael lachte. »Eleganter Übergang.«
    »Was?«
    »Nichts. Ein schlechter Scherz. Nein, ich hab keinen Liebhaber.«
    »Warum nicht?«
    Michael zögerte. »Ich hatte mal einen. Es hat nicht funktioniert.«
    »Heikles Thema, hm?«
    »Ja.«
    »Ich glaube, ich hätt gern einen, aber ich glaub nicht, daß ich im Coleherne einen finde.«
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte Michael.
    Wie es die Tradition zu verlangen schien, sprachen sie während der U-Bahn-Fahrt kaum ein Wort, während Wilfred sein blaues Jeansknie an das schwarze von Michael drückte.
    »Was ist deine Haltestelle?« fragte Michael.
    »Dieselbe wie deine, Mann. Notting Hill Gate.«
    Michael war sprachlos.
    Der Junge grinste. »Bin dir also wirklich nie aufgefallen, was?«
    »Tut mir leid, ich weiß nicht, wo …«
    »Ich wohne direkt über dir, Mann. In der guten alten Colville Crescent vier’nvierzig.«
    Der endgültige Beweis kam, als sie vor dem Gebäude standen und Wilfred einen Schlüssel hervorholte, der die Haustür öffnete. Er drückte auf den Lichtschalter, ehe er sich zu Michael umdrehte und ihn flüchtig auf den Mund küßte. »Gute Nacht, Mann. Danke fürs Bringen.«
    Dann sprintete er die Treppe zum ersten Stock hinauf.

Fröhliche Ostern
    Wie manches andere an ihr war Mary Anns Monatszyklus so zuverlässig, daß ihn Mussolini in seine Eisenbahnfahrpläne hätte einbauen können. Wenn die Welt mit Karacho aus den Fugen ging und das Chaos herrschte, konnte sie immer drauf zählen, daß sie pünktlich ihre Tage bekam – oder, wie ihre Mutter es einmal genannt hatte: »Die blutigen Tränen einer enttäuschten Gebärmutter.«
    Heute war ihre Gebärmutter besonders enttäuscht gewesen, was bedeutete, daß ihre Halbzeitbeschwerden ziemlich exakt in vierzehn Tagen zu erwarten waren. Nach ihrem Arzt im St. Sebastian’s (und einigen

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