Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Holla. Ach Menschenskind, Brian, geh zu deiner Rock’n’Roll-Party. Ist doch genau deine Kragenweite. Wenn du nicht gehst, bist du ewig sauer auf mich.«
Er sah sie mit seinem Hundeblick an. »Ich wollte jemand dabeihaben, mit dem ich drüber lachen kann.«
Es war einer jener unkomplizierten Augenblicke des Einvernehmens, die einen für all die herben Kompromisse des Ehelebens entschädigen. Sie schmiegte das Gesicht an seinen Hals und sagte: »Wir lachen hinterher darüber. Ich versprech es.«
Er hielt sie von sich weg und lieferte ein unerwähntes Detail nach: »Sie lädt ihre Gäste über Nacht ein. Ich meine … fürs ganze Wochenende.«
»Schön«, meinte sie achselzuckend. »Prima.« Unter den gegebenen Umständen blieb ihr kaum etwas anderes übrig.
»Meinst du das ehrlich?« fragte er ernst. »Oder gibst du dir bloß Mühe, modern zu sein?«
Sie kaute auf dem Zeigefinger, als müßte sie darüber nachdenken. »Wenn sie dich anrührt, reiß ich ihr die Titten ab.«
Er lachte. Dann schnippte er plötzlich mit den Fingern. »Ich hab eine glänzende Idee!«
»Was?« Er machte sie allmählich nervös.
»Ich werde Simon mitnehmen.«
»Na, ich weiß nicht, Brian.« Sie ließ sich mehrere Argumente durch den Kopf gehen, ehe sie sich für eines entschied. »Das wäre ein bißchen taktlos.«
»Wieso?«
»Na … sie hat uns beide eingeladen. Simon kennt sie nicht einmal. Und weil es unsere erste richtige Einladung bei ihr ist, wär es vielleicht ein bißchen aufdringlich, einen wildfremden Menschen anzuschleppen … und erst recht einen, der quasi ein Groupie von ihr ist.«
»Deshalb finde ich es doch grade perfekt«, sagte er. »Er ist verrückt nach ihr … und ungebunden.«
»Schon. Aber Männer hat sie vermutlich im Überfluß.«
»Heteros?«
»Na … was auch immer. Spiel da nicht den Kuppler, Brian.«
»Warum nicht?«
»Weil sie … zu gefräßig ist.«
Er lachte. »Ich glaube, Simon kann schon auf sich aufpassen.«
»Sei dir nicht so sicher.« Sie kuschelte sich wieder an ihn. »Hast du mir schon verziehen?«
»Ich arbeite dran.«
»Gut. Es gibt noch was, woran wir arbeiten können.«
»Was?«
»Heb dir den Palmsonntag für mich auf, ja?«
»Warum?«
»Weil die Zeichen günstig stehen … in Sachen Baby.«
Er brauchte eine Weile, bis er begriff. »Du meinst … ethelmertz?«
Sie nickte. »Ethelmertz. «
»Mensch!« Er drückte sie an sich. »Damit bin ich für Ostern schon entschädigt.«
»Gut«, sagte sie. »Das hatte ich auch gehofft.«
Der Junge von oben
Michael war bemerkenswert gut gelaunt, als er Viertel vor neun in Simons muffigem Schlafzimmer erwachte. Eine Betonmischmaschine knirschte und gurgelte draußen auf der Straße, und nebenan briet jemand Kippers, doch nichts konnte seine dunkle Ahnung erschüttern, daß das Leben endlich besser wurde.
Er knipste das Radio neben dem Bett an. Ein Nachrichtensprecher informierte ihn, daß man in einem schottischen Hochmoor einen gekreuzigten Schulrektor gefunden hatte und daß die Londoner Buchmacher jetzt Wetten annahmen, wann die Hauptstadt ihre ersten achtundvierzig regenfreien Stunden erleben würde. Das eine kümmerte ihn so wenig wie das andere.
Er machte sich gerade einen Tee, als jemand an die Tür klopfte. Daß er ziemlich sicher wußte, um wen es sich handelte, verschaffte ihm die angenehme Illusion, zu Hause zu sein.
»Morgen, Alter.«
Michael lächelte dem Jungen entgegen. »Morgen.«
Wilfred trug eine Variante des Ensembles vom Vorabend – eine Fliege (schwarz), einen ärmellosen Pulli (türkis), ein weißes Hemd und die 501. Er schien sich einen »Look« zugelegt zu haben. Michael mußte unwillkürlich an das karierte Hütchen denken, das er in London mit sechzehn immer getragen hatte.
»Tee?« fragte er.
»Super«, sagte Wilfred.
»Setz dich. Ich hol ihn.«
Er ging wieder in die Küche und kam mit den Teesachen auf einem Tablett zurück. »Warum hast du mir nicht gleich gesagt, daß du hier wohnst?«
Wilfred, der inzwischen lässig auf dem Sofa lag und das eine Bein über die Armlehne hängen ließ, zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nicht der kleine Kanake vom ersten Stock sein. Ich wollte dich kennenlernen …« Er suchte vergeblich nach den richtigen Worten.
»Bei unseren Leuten?« half ihm Michael auf die Sprünge.
»Genau.« Wilfred lächelte.
»Bist du mir zum Coleherne gefolgt?«
Der Junge machte ein empörtes Gesicht. »Du bist nicht die einzige Schwuchtel, die ins Cloneherne geht, weißt
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