Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
herunter und schnupperte daran.
»Die duften nicht«, sagte sie.
Er ließ den Zweig wieder nach oben schnalzen.
»Im Volksmund heißen sie (verhutzelte Auberginen«), ergänzte sie, »weil sie aussehen wie …«
»Sag es nicht. Laß mich raten.«
Sie lachte.
»Eine Bowlingkugel? Nein? Ein Brotlaib vielleicht?«
Sie rüttelte sein Knie. »Mach dich nicht über mich lustig.«
Einen Moment schwiegen sie. Ihre Hand auf seinem Knie war ihr peinlich und sie nahm sie wieder weg.
»Wer wohnt in diesen Häusern?« fragte Simon.
Sie war froh, daß sie sich wieder in ihre Rolle als Fremdenführerin flüchten konnte. »Also das … sind Squatter-Hütten …«
»Wirklich? Ich dachte, das gibt es nur in England.«
»O nein. Was glaubst du denn? Während des Goldrauschs …«
Er unterbrach sie mit einem spröden Lachen. »Ich glaube, wir reden von verschiedenen Jahrhunderten. Ich meinte jetzt. «
Sie war völlig durcheinander und fing noch einmal ganz von vorne an. »Ihr habt heute noch Squatter?«
Er nickte. »London ist voll davon.«
»Du meinst … Leute nehmen sich einfach ein Stück Land?«
»Nein, aber Häuser. Wohnungen. Die Hippies haben damit angefangen, als die Stadt leerstehende Wohnungen in ihrem Besitz verwahrlosen ließ. Sie zogen ein, richteten sie ein bißchen her … und nahmen sie in Beschlag.«
»Tja«, meinte sie, »das scheint nur fair.«
»Mhm. Es sei denn, du kommst irgendwann aus dem Urlaub und triffst in deinen vier Wänden eine pakistanische Familie an … oder sonst wen.«
»Hat’s das gegeben?«
»Aber ja.«
»Die ziehen einfach ein? Nehmen sich die Möbel und alles?«
Er nickte. »Um sie wieder rauszukriegen, muß man beweisen, daß sie sich gewaltsam Zutritt verschafft haben. Das ist manchmal verdammt schwierig. Es kann ein monatelanges Geziehe geben, bis man sie raussetzen darf. Verstehst du, das ist eine komplizierte Angelegenheit.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»In meinem Haus sind auch welche«, fügte er hinzu. »Sie haben sich die leerstehende Wohnung über mir genommen.«
»Du hast nichts mitgekriegt?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich war mit dem Prinzenpaar auf Hochzeitsreise.«
»Und wie sind sie so?«
»Der Prinz und die Prinzessin?«
Sie lächelte. »Die Squatter.«
»Ach … ein Bursche in mittlerem Alter und sein Sohn. Der Vater trinkt zuviel. Sie sind australische Ureinwohner. Mischlinge, genauer gesagt.«
Sie dachte an Eingeborene in Baströckchen, die einen Knochen durch die Nase trugen und im Kreis tanzten, doch sie verdrängte das Bild, denn ein anderes Thema interessierte sie mehr. »Gut, jetzt kannst du mir von den prinzlichen Flitterwochen erzählen.«
Das Lächeln, mit dem er reagierte, war diplomatisch reserviert. »Ich dachte, das hätten wir schon in unserem Interview abgehandelt.«
»Das war der offizielle Kram«, sagte sie. »Jetzt will ich die schmutzigen Sachen.«
Er zog wieder den Zweig mit der Blüte herunter. »Und es bleibt ganz unter uns?«
»Na klar.«
»Ganz unter uns … es gibt nichts Schmutziges.«
»Ach komm.«
»Ich mußte mich um den Funkverkehr kümmern. Von den Flitterwöchnern hab ich kaum was gesehen.«
»Ist sie hübsch?«
»Sehr.«
»Eine Schönheit?«
Er schmunzelte. »Du bist auf der richtigen Spur.«
»Würde sie dich erkennen, wenn sie dich auf der Straße sieht?«
Er nickte. »Ich bin mal mit ihr ausgegangen.«
»Du … hast sie ausgeführt?«
»Ich war mit ihr bei einem David-Bowie-Konzert. Das Mädchen, mit dem sie zusammenwohnte, kannte einen Freund von mir. Wir sind zu viert gegangen. Es ist schon Jahre her … damals war sie nur eine Lady.«
Sie kicherte. »Ein Doppelrendezvous mit Lady Di.«
»Bis jetzt«, sagte er grinsend, »hat es dafür noch keine Orden gegeben.«
»War sie wirklich noch Jungfrau, als sie ihn geheiratet hat?«
Er zuckte mit den Schultern. »Soweit ich was damit zu tun hatte ja.«
Sie sah ihm in die Augen. »Hast du was mit ihr versucht?«
Er kräuselte die Lippen. »Du läßt nicht so leicht locker, wie?«
»Na, was ist schon dabei?« meinte sie. »Das tun doch alle. Die Zeiten haben sich geändert. Jeder macht, was er will, und keinen kümmert es.«
»Und Diskretion«, ergänzte er mit einem nachsichtigen Lächeln, »ist der letzte Akt der Ritterlichkeit.«
Es gelang ihr nur mit Mühe, ihre Erleichterung zu verbergen. Er hatte den Test mit Bravour bestanden. Mit einem schüchternen Lächeln gestand sie ihre Niederlage ein. »Niemals knutschen und dann darüber reden,
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