Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
hm?«
Er schüttelte den Kopf. »Dazu küsse ich zu gern.«
Das Kreischen, das sie an ihrer nächsten Bemerkung hinderte, war so unverhofft und schrill, daß es eine Weile dauerte, bis ihr aufging, was es war.
»Großer Gott«, murmelte Simon und verrenkte wieder einmal seinen wunderschönen Hals.
»Das sind Papageien«, sagte sie. »Leben hier wild.«
»Wie bemerkenswert! Ich wußte gar nicht, daß es sie hier gibt.«
»Sie sind nicht von hier. Nicht direkt. Ein paar von ihnen waren ursprünglich mal in Käfigen. Die anderen stammen von denen ab, die entflogen sind. Sie haben sich einfach irgendwie … gefunden.«
Er sah sie an und lächelte. »Das ist eine hübsche Geschichte.«
»Ja, nicht?«
English Leather
Fünf Stunden nach der Fata Morgana in Hampstead Heath aalte sich Michael in der Colville Crescent in einem seichten Bad. Schuld war der Traum, entschied er schließlich – der Traum von Death Valley, in dem Mona seine Rufe vom Felsen herab ignoriert hatte. Irgendwas an diesem Erdhügel im Park, irgendwas an der blonden Frau und ihrer Haltung oder dem Blickwinkel, aus dem er sie beobachtet hatte, mußte den Traum wieder heraufbeschworen und dazu geführt haben, daß er den Bezug zur Realität verlor.
Die Frau hatte kein bißchen wie Mona ausgesehen. Nicht mit diesem Haar. Und diesen Kleidern. Nicht einmal Haltung und Gang konnte man verwechseln. Er hatte allenfalls auf ihre Aura reagiert – eine so peinlich kalifornische Vorstellung, daß er sich schwor, keinem davon zu erzählen. Die elegante Fremde hatte bei ihm einfach einen wunden Punkt getroffen: Er grämte sich wegen einer Freundschaft, die sich im Grunde längst in Luft aufgelöst hatte.
Nein, er wollte nicht mehr daran denken. Er zog seine schwarze Levi’s und das weiße Button-down-Hemd an und ging zum Notting Hill Gate, wo er in einem überfüllten indischen Restaurant ein Curry aß. Anschließend löste er im Bureau de Change einen Travelerscheck ein, kaufte sich an seinem Zeitungskiosk eine Private Eye und ging zurück nach Hause. Vor der Haustür stand Miss Treves.
»Ah, da sind Sie ja, mein Bester.«
»Hallo!« Er fand es angenehm, daß sie ihm schon wie eine gute Bekannte erschien. »Ich war nur kurz was essen.«
»Sie amüsieren sich prächtig, wie?«
»Klar«, log er.
»Gut. Ich hab mein Köfferchen mitgebracht. Ist Ihnen doch recht?« Sie hielt ein grünes Lederköfferchen von der Größe eines Schuhkartons hoch.
Er begriff nicht. »Entschuldigen Sie, äh … worum geht’s denn?«
Mit ihrem freien Babypatschhändchen packte sie ihn an der Hand, die ihr am nächsten war. »Diese schauerlichen Fingernägel. Da muß wirklich was geschehen. Wir können doch einen Freund von Simon nicht so verlottert rumlaufen lassen.« Sie legte den Kopf schräg und zwinkerte ihm zu. »Es dauert nicht lange.«
Er war verlegen und zugleich gerührt. »Das ist wirklich nett von Ihnen, aber …«
»Ich werde Ihnen nichts berechnen. Oder haben Sie heute abend schon was vor?«
Er hatte mit dem Gedanken gespielt, die Schwulenkneipen von Earl’s Court zu erkunden, aber unter diesen Umständen schien das keine passende Antwort zu sein. »Nein«, sagte er. »Die nächsten paar Stunden nicht.«
»Na fein«, flötete sie, machte flott kehrt und ging im Hausflur voran. Als sie in der Wohnung waren, klappte sie ihr Maniküreköfferchen auf und entnahm ihm einen Zeitungsausschnitt, der vom vielen Falten schon leicht zerfleddert war. »Es ist alles reiner Quatsch, aber ich dachte, Sie möchten es vielleicht lesen.« Die Überschrift lautete: FUNKER DER QUEEN MISCHT FRISCO AUF.
Er überflog den Artikel. Sie stellten Simon als hemmungslosen Hedonisten hin, als verzogenen Aristokratensproß, der das Vermögen der Familie in der »Hauptstadt der Schwuchteln und Spinner« in unaussprechlichen Exzessen verpraßte. Er gab das Beweisstück mit einem abschätzigen Lächeln zurück. »Sie haben recht. Alles reiner Quatsch.«
Miss Treves grummelte etwas und goß eine seifige Flüssigkeit in eine kleine Schale. Er mußte sofort an den Werbespot mit der Maniküre Tilly denken und fragte sich, ob seine Hände in Spülmittel eingeweicht würden. Die ganze Szene hatte etwas hochgradig Komisches.
Sie nahm seine Hand und drückte sie in die Schale. »Ist Ihnen aufgefallen, daß sie die Adresse veröffentlicht haben?«
»Mhm«, sagte er.
Sie schwieg.
»Gibt das … Probleme?«
»Ich weiß nicht, mein Bester.« Sie suchte in ihren Utensilien herum. »Ist Ihnen
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