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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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du.«
    Der Kalauer entging Michael nicht. »Das Cloneherne, hm?«
    Wilfred zwinkerte ihm zu. »Den Namen hab ich selber erfunden.«
    »Nicht schlecht.«
    »Also … was machst du in der Bude von Lord Zickendraht?«
    »Wir haben die Wohnungen getauscht. Ich hab ihm für einen Monat meine Wohnung in San Francisco gegeben, und … Ist Simon etwa ein Lord?«
    »Er führt sich jedenfalls wie einer auf. Ist er ’ne Schwuchtel?«
    Michael schüttelte den Kopf. »Nee.«
    »Hab ich auch nicht gedacht.« Wilfred sah sich naserümpfend um. »Nicht besonders ordentlich.«
    In diesem Punkt zumindest schien man sich einig zu sein. »Ich glaube, es stört ihn nicht«, sagte Michael.
    »Wer ist die Lili?«
    »Die was?«
    »Die Lili. Die Zwergendame, die immer vorbeischaut.«
    »Sein Kindermädchen«, sagte Michael. »Und sieh dich vor mit deinen Ausdrücken.«
    »Sein Kindermädchen. Na so was.«
    »Was nimmst du in den Tee?«
    »Wilfred! « brüllte jemand durchs Treppenhaus.
    »Meine Güte«, murmelte Michael. »Wer ist denn das?«
    Der Junge strebte bereits zur Tür. »Paß auf … wir treffen uns in ’ner halben Stunde an der U-Bahn-Station. Ich muß dir was ganz Seltenes zeigen.«
    »Wilfred … wer war das?«
    »Ach … bloß mein Alter.«
    »Dein Vater?«
    »U-Bahn. In ’ner halben Stunde, ja? Wirst es nicht bereuen.«
    Er warf ihm eine Kußhand zu und verschwand.
    Michael hörte zu, wie er die Treppe hinaufrannte. Dann setzte er sich hin und goß sich eine Tasse Tee ein. Das war ja eine völlig neue Entwicklung. Wenn Wilfred bei seinen Eltern wohnte, wollte Michael auf keinen Fall als der ausländische Schwerenöter dastehen, der ihren Sohn »rekrutiert« hatte. Der liebe Daddy klang nicht gerade wie jemand, mit dem man vernünftig reden konnte.
    Ach was. Pfeif drauf. Sein Leben hatte endlich wieder Schwung bekommen, und es war ein zu gutes Gefühl, um jetzt einen Rückzieher zu machen. Oder, wie Mrs. Madrigal es einmal ausgedrückt hatte: »Nur ein Narr verweigert die Gefolgschaft, wenn Pan durch den Wald gestelzt kommt.«
    Also aß er seinen Toast mit Marmelade, machte das Bett und schlenderte dann auf der Portobello Road zur U-Bahn. Wilfred erwartete ihn bei den Fahrkartenautomaten. »Ich war nicht sicher, ob du kommen würdest«, sagte Michael.
    »Wieso?«
    »Na ja … dein Vater klang ziemlich stinkig.«
    Wilfred schüttelte den Kopf. »Er fängt nicht vor Mittag mit dem Saufen an.«
    Hier gab es ein Verständigungsproblem. Michael mußte lächeln. »Ich meinte stinksauer, nicht stinkbesoffen.«
    »Ach so. Na, stinksauer ist er dauernd.«
    »Wegen was?«
    Wilfred überlegte einen Augenblick. »Hauptsächlich wegen Maggie Thatcher und mir. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, du verstehst.« Er äffte den dröhnenden Baß seines Vaters nach. »›Wer brauch ’ne bescheuerte Dachdecker-Thatcher, wenn er nicht mal’n Dach überm Kopf hat? Eh? Eh?‹ Das ist sein Lieblingswitz.«
    Michael gluckste vor Lachen. »Du machst ihn gut nach.«
    »Muß es mir ja auch oft genug anhören«, sagte Wilfred.
    Auf Geheiß des Jungen erstand Michael eine Fahrkarte nach Wimbledon, die Endstation der District Line, südlich vom Fluß. Während sie auf dem Bahnsteig warteten, fragte er Wilfred: »Hat das was mit Tennis zu tun?«
    »Immer mit der Ruhe, Mann. Wirst schon sehn.«
    »Ja, Sir. «
    Wilfred grinste ihn spitzbübisch an. Michael fühlte sich einen Augenblick an Ned in Death Valley erinnert, wie der seine Freunde neugierig gemacht hatte auf die verborgenen Wunderdinge, die gleich hinter dem nächsten Felsen liegen würden.
    Als der Zug durch den rußigen Tunnel donnerte, fragte Michael: »Weiß dein Vater, daß du schwul bist?«
    Wilfred nickte.
    »Wie hat er’s rausgekriegt?«
    Der Junge zuckte mit den Schultern. »Die Bullen haben mich beim Klappern geschnappt. Ich glaub, da ist ihm ein Licht aufgegangen.«
    »Klappern?«
    »Weißt schon … wenn man’s in ’ner Klappe macht.«
    Michael war sichtlich verwirrt.
    »Eine Klappe«, wiederholte Wilfred. »Ein öffentliches Scheißhaus. «
    Eine Frau, die ihnen gegenüber saß, schnitt eine wütende Grimasse.
    »Oh«, meinte Michael einigermaßen kleinlaut.
    »Deswegen bin ich von der Schule geflogen … und meinen Job hab ich auch verloren. Ich hab mal da unten in Wimbledon gearbeitet.«
    »Wir nennen das eine Teestube«, erklärte ihm Michael.
    »Was? Wo ich gearbeitet hab? Das war ’ne dämliche Frittenbude!«
    »Nein, eine Klappe. Statt Klappe sagen wir Teestube.« Es

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