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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Flur und schaute vorsichtig ins Treppenhaus, als oben jemand aus der Tür kam und sie krachend hinter sich zuschlug. Er huschte zurück in die Wohnung, zog leise die Tür zu und wartete, bis Wilfreds Vater mit schweren Schritten die Treppe herunterkam, durch den Flur stapfte und das Haus verließ. Als er nichts mehr hörte, stieg er ein Stück die Treppe hinauf und rief: »Wilfred?«
    Keine Antwort.
    »Wilfred … alles in Ordnung?«
    »Wer ist da?«
    »Ich bin’s. Michael. Hat er dir was getan?« Er wollte die restlichen Stufen hinaufsteigen.
    »Bleib da, Mann. Ich komm gleich runter. Mir ist nichts passiert.«
    Also ging er in die Wohnung zurück, setzte einen Kaffee auf und wartete. Schließlich kam Wilfred herein. Er grinste tapfer und preßte eine Handvoll Klopapier gegen seine Schläfe. »Tut mir leid wegen dem Krach, Mann.«
    »Meine Güte«, sagte Michael leise. »Was hat er gemacht?«
    »Ach … er hat mich gegen den Schrank geschmissen.«
    »Dich geschmissen?«
    »Ist das so schwer? Ich bin kein Arnold Schwarzenegger.«
    Michael lächelte ihn an. »Komm her, laß dich mal anschauen. Was hast du eigentlich gemacht, daß er so ausgerastet ist?«
    Wilfred kam näher und nahm das Klopapier von der Schläfe. »Er hat mein altes Zipper im Müll gefunden.«
    »Dein was?«
    »Ein Magazin mit nackten Typen.«
    »Oh. Meine Güte, das wird ja ’ne richtige Beule. Moment … ich hab Alkohol und Heftpflaster in meinem Kulturbeutel.« Er fand, was er brauchte, kam zurück und tupfte dem Jungen die Schläfe ab. »Liest du das Zeug?«
    Wilfred fand soviel Ahnungslosigkeit erschütternd. »Das ist nicht zum Lesen, Mann, das ist ’ne Wichsvorläge.«
    Michael lächelte. »Ich laß mich gern belehren.«
    »Hast du dir so was nie gekauft?«
    »Doch, klar. Bei uns zu Hause sind die Dinger im Moment ziemlich populär. Sex mit einem Magazin ist viel sicherer. Tut das weh?«
    »Und wie«, sagte Wilfred.
    »Gut. Dann wirkt es auch. Mein Freund Ned nennt es periodical sex. Das fand ich immer sehr treffend.« Er drückte das »fleischfarbene« Heftpflaster fest und überlegte, wie deplaziert und gedankenlos dieser Ausdruck doch war. »So. Jetzt bist du wieder fast wie neu.«
    Wilfred sog die Luft ein. »Ist das Kaffee?«
    »Ja. Willst du eine Tasse?«
    »Super.«
    Als er ihm den Kaffee brachte, fragte er: »Schon was vor für heute?«
    Der Junge zuckte mit den Schultern.
    »Prima. Dann komm mit mir zu Harrods.«
    »Ist das dein Ernst?«
    »Klar. Ich brauch ein paar Sachen für meine Freunde zu Hause.«
    Also tat ihm Wilfred den Gefallen und ging mit ihm in das fürstliche Kaufhaus, wo Michael sich mit königlichem Kitsch eindeckte: Prinz-William-Eierbecher, Prinzessin-Diana-Scheuerlappen, Queen-Mum-Terminkalender. Er suchte vergeblich nach irgend etwas mit dem Gesicht von Prinzessin Anne, doch Briten – ob camp oder nicht – schien dieses Konterfei wenig zu bedeuten.
    Als sie in die Abteilung Herrenbekleidung kamen, zupfte ihn Wilfred am Ärmel. »Sieh mal … Prinzessin Diana.«
    »Laß man«, meinte Michael, »ich hab ja schon den Scheuerlappen.«
    »Nee, Mann, die richtige. « Mit einer Kopfbewegung wies er auf eine schlanke Blondine, die sich einen Herrenschlafanzug ansah. Sie trug einen blaßgrauen Kaschmirpulli zu einem geblümten Laura-Ashley-Rock in Pink, dezente Perlenohrclips und eine Perlenkette. Ihre Füße steckten in schwarzen Lacklederpumps.
    Michael ging hinter einer Säule in Deckung und forderte Wilfred mit einer verstohlenen Geste auf, das gleiche zu tun.
    Der Junge kicherte. »He, Mann, sie ist gar nicht …«
    »Schsch. Sie darf dich nicht sehen.«
    Wilfred amüsierte sich köstlich. »Das ist bloß ’n Sloane Ranger«, flüsterte er.
    »Ein was?«
    »’ne schwule Ische. Sie kaufen alle am Sloane Square ein und versuchen auszusehn wie …«
    »Wilfred, komm hier hinter!«
    »Hast du nicht mehr alle …«
    »Ich kenne sie«, flüsterte Michael. »Glaub ich jedenfalls. Sieht sehr nach einer alten Bekannten von mir aus.«
    Wilfred verdrehte die Augen. »Warum sprichst du sie nicht einfach an?«
    »Das hab ich schon mal versucht, und sie ist abgehauen.«
    »Wann?«
    »Vor ’ner Woche ungefähr, in Hampstead Heath. O Gott … ist sie weg?«
    »Noch nicht. Der Verkäufer zeigt ihr noch mehr Schlafanzüge.«
    Michael versuchte angestrengt, ihre Stimme herauszuhören, doch sie verlor sich im vornehmen Geräuschpegel des Kaufhauses. »Das ist verrückt«, murmelte er. »Sie muß in großen Schwierigkeiten

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