Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Sie sich näher mit ihm angefreundet?«
»Ähm. Doch, ja. Warum?«
»Nur so. Ich hab mich bloß gefragt, welchen Eindruck Sie von ihm haben.«
Mrs. Madrigal steckte eine lose Haarsträhne fest, während sie überlegte. »Er ist gescheit, würde ich sagen. Aufgeweckt. Gibt sich vielleicht ein bißchen ausweichend.« Sie lächelte. »Aber ich nehme an, das gehört bei Briten eben dazu.«
»Ja.«
»Ansonsten sieht er natürlich fabelhaft aus. War das mit deiner Frage gemeint?«
Im Tonfall der Vermieterin schien irgendeine Andeutung mitzuschwingen. Mary Ann fühlte sich unbehaglich. »Nein … ich meinte nur … generell.«
»Generell, würde ich sagen, ist er eine tolle Partie.«
Mary Ann nickte.
Die Vermieterin ging in die Hocke und zupfte ein Unkraut aus. »Hört sich an, als wolltest du ihn verkuppeln. Ich dachte, das ist hier mein Job.«
Mary Ann kicherte. »Wenn ich eine für ihn finde, werde ich es erst von Ihnen absegnen lassen.«
»Tu das«, sagte Mrs. Madrigal.
Das schalkhafte Glitzern in den Augen der Vermieterin war ziemlich irritierend. Sieh dich vor, ermahnte sich Mary Ann. Eine nette alte Dame, die mal ein Mann war, könnte ohne weiteres wissen, was anderen durch den Kopf geht.
Mary Ann stieg die Treppe hoch, zögerte aber auf dem Flur, drehte sich dann um und klopfte an Simons Tür. Er öffnete in Michaels dunkelgrünem Kordsamtbademantel, den er so lose trug, daß man ein beeindruckendes Dickicht von braunem Brusthaar sehen konnte. Er knabberte an einer Möhre.
»Nanu … hallo.«
»Hallo«, sagte sie. »Ich dachte, ich schau mal kurz vorbei. Oder komme ich ungelegen?«
»Absolut nicht. Moment, ich zieh mir schnell eine Hose an. Dauert nur …«
»Nein, es ist so eine … spontane Idee. Du bist angezogen genug. In deinen Joggingshorts habe ich schon mehr von dir gesehen.«
Er sah flüchtig an sich herunter. »Da hast du auch wieder recht«, sagte er. Dann, mit einem launigen kleinen Schlenker seiner Hand mit der Möhre: »Na … willst du nicht reinkommen?«
Das Wohnzimmer war natürlich noch unverkennbar das von Mouse: die Regale mit dem kunterbunten Geschirr in tropischen Farben; die nostalgische Sammlung von Gummientchen aus den vierziger Jahren; das Poster von Bette Midler »Thighs and Whispers« im verchromten Rahmen. Die einzige persönliche Note von Simon waren die neueste Ausgabe der Rolling Stone und eine Flasche Brandy auf dem Couchtisch.
Er setzte sich aufs Sofa. »Ich wollte mir gerade einen kleinen Schluck genehmigen. Trinkst du einen mit?«
»Klar.« Sie setzte sich ans andere Ende des Sofas, so daß ein Kissen als Niemandsland zwischen ihnen blieb. »Aber nur einen ganz kleinen. Von Brandy krieg ich Kopfweh.«
»Brandy verlangt ein gewisses Engagement«, meinte er leicht amüsiert. Er goß einen Schluck in ein rosarotes Saftglas und reichte es ihr. »Runter damit.«
Sie nippte daran. »Übrigens, was ich fragen wollte … hast du für Ostern schon was vor?«
Er grinste.
»Was ist denn so komisch?«
»Na, wir sind doch hier in Lotosland, nicht? An christliche Feiertage hab ich noch keinen Gedanken verschwendet.« Er gluckste vor Lachen. »Bis jetzt hab ich meistens heidnische Rituale zelebriert.«
»Das kann ich mir denken«, sagte sie. »Aber, weißt du, ich dachte … es wäre gut, wenn wir jetzt schon was planen … weil du ja gleich danach weggehst.«
Er nickte nachdenklich. Was mochte er jetzt denken?
»Es ist schon das übernächste Wochenende«, ergänzte sie.
Er machte ein erstauntes Gesicht. »Ach wirklich?«
»Mmm.«
Er schüttelte den Kopf. »Wie doch die Zeit vergeht, wenn man eine Stadt auf den Kopf stellt.« Er sah sie von der Seite an. »Was hast du dir denn so gedacht?«
»Aber nicht lachen«, sagte sie.
»Na schön.«
»Es ist … eine Morgenandacht.«
Ein kurzes Zögern. »Ah.«
»War das ein gutes Ah oder ein schlechtes?«
Er lächelte. »Ein Sag-mir-mehr-Ah.«
»Mehr ist dazu nicht zu sagen«, meinte sie schulterzuckend. »Ich soll für den Sender was drüber machen. Es ist am höchsten Punkt der Stadt. Da steht so ein riesiges Kreuz. Alle sehen von da oben zu, wie die Sonne über Oakland aufgeht. Es ist was typisch Kalifornisches … Gemeinschaftsgefühl … was fürs Herz und so … aber du findest es vielleicht zum Brüllen.«
»Zum Brüllen«, wiederholte er. Sein Lächeln näherte sich bedenklich einem höhnischen Grinsen.
»Du findest es grauenhaft, hab ich recht?«
»Nein … nein. Ich frag mich nur … wie kommen wir
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