Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
unsere Reservierung in Sierra City abgesagt.«
»Warum?«
»Ach … ich hab gedacht, daß wir uns in dieser Situation was Besseres gönnen sollten. Wie findest du das Sonoma Mission Inn?«
»Oh, Brian … zunächst mal teuer.«
»Wir können es uns leisten«, meinte er, aber schon deutlich weniger euphorisch.
»Ja. Kann sein.«
»Du klingst nicht sehr begeistert.«
»Tut mir leid. Ich bin bloß … Ich find’s toll. Wirklich. Ich wollte da schon immer mal hin.«
»Das hab ich nicht vergessen«, sagte er.
Es machte ihr ein schlechtes Gewissen, daß er etwas so Ausgefallenes plante, nur weil sie ihm mit ihrem Mittelschmerz falsche Hoffnungen gemacht hatte. »Müssen wir noch an irgendwas denken?« fragte sie. »Muß ich nicht bessere Klamotten mitnehmen?«
»Du hast noch Zeit zum Packen«, sagte er. »Wir sind erst für heute abend um sieben angemeldet.«
»Prima. Ich müßte spätestens um vier zu Hause sein.«
Bis dahin gab es noch einiges zu tun. Sie machte einen Beitrag über kalifornische Küche sendefertig, erledigte Anrufe und beantwortete Anfragen, die seit Wochen auf ihrem Schreibtisch lagen. Sie wollte sich gerade diskret aus dem Staub machen, als sie von Hal, einem Redakteurskollegen, im Flur abgefangen wurde.
»Kenan will dich sprechen«, sagte er.
»Mist. Ich wette, er hat einen Auftrag.«
»Wer hoch will, darf nicht rasten«, meinte er grinsend.
Sie überlegte, was sie tun sollte. Wenn sie wegging, ohne sich bei Kenan zu melden, gab es keine Garantie, daß Hal sie nicht anschwärzen würde. Er war berüchtigt für so was. Also biß sie die Zähne zusammen, machte sich wütend auf den Weg zu Kenans Büro und legte sich unterwegs eine ganze Palette von Ausreden zurecht.
Kenans Allerheiligstes war wie üblich eine wahre Deponie für Medienkitsch und Werbeschnickschnack: Miniaturausgaben von eiförmigen Fußbällen, bedruckt mit dem Logo des Senders; vier oder fünf verschiedene Wandkalender aus Mylar; ein Rubik-Würfel mit Name und Anschrift eines Videotapeherstellers. Die einzige Veränderung war, daß Bo Derek nicht mehr an der Decke über Kenans Schreibtisch hing – sie hatte Christie Brinkley Platz machen müssen.
Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, ließ der Nachrichtenchef seinen Drehsessel in eine aufrechte Position kippen und fixierte Mary Ann mit seinen kleinen Knopfaugen. »Gut. Da sind Sie ja.«
»Hal hat gesagt, daß Sie mich sprechen wollen.«
Sein Lächeln war nichts weiter als eine Form von Aggression. »Erinnern Sie sich, was ich Ihnen gesagt habe, als Sie hier anfingen … daß ein guter Reporter der einzige Mensch ist, der in einem Fall von höherer Gewalt immer zur Stelle zu sein hat? Wissen Sie noch?«
»Klar«, sagte sie. Soviel sie wußte, mußten sogar die Hausmeister des Senders diesen blödsinnigen Vortrag über sich ergehen lassen. »Was ist damit?«
»Tja, Gnädigste …« Er machte es spannend und zögerte es so lange wie möglich hinaus. »Ich hab was für Sie, das hat genau diese Dimension.«
Als sie Brian anrief und ihm die schlechte Nachricht durchgab, war sein Zorn ebenso groß wie berechtigt. »Scheiße, Mary Ann! Wir planen den Trip schon die ganze Woche. Das hast du denen doch gesagt, oder etwa nicht?«
»Natürlich.«
»Na, warum keilen sie dann ausgerechnet dich?«
»Weil ich … auf der untersten Sprosse stehe, und weil sie wissen, daß ich …«
»Was ist denn so rasend wichtig, daß es nicht wenigstens bis Montag warten kann?«
»Tja … es ist so ’ne Art Osterstory … Karwoche, besser gesagt … deshalb brauchen sie’s gleich, wenn sie …«
»Kommt der Papst? Oder was?«
»Du regst dich nur auf, wenn ich’s dir sag, Brian.«
»Ich reg mich jetzt schon auf. Was, zum Kuckuck, ist es?«
»Eine Frau in Daly City. Sie glaubt, daß ihr Jesus erschienen ist.«
»Na toll.«
»Brian …«
»Wo hat sie ihn denn gesehen? An ihrem Armaturenbrett?«
»Nein. Auf einer Tortilla.«
Er knallte den Hörer auf die Gabel.
Minuten später verließ sie den Sender und fuhr nach Daly City. Ort des Wunders war ein kleines mexikanisches Restaurant namens Una Paloma Bianca. Eine weiße Taube. Schon mal sehr passend zum Karwochenthema. Der Kameramann war bereits da und moserte wegen der technischen Schwierigkeiten, die er hatte.
»Ich sag dir, das kommt nicht raus«, zischte er. »Kannst mir glauben. Ich weiß, von was ich rede.«
»Schau her«, konterte sie, »ich kann es sehen … Das da ist der Bart. Das hier ist ein Teil vom
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