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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Bedenken. »Wird man die Wäscheklammern auch nicht sehen, Matthew?«
    »Nee.«
    »Bist du sicher?«
    »Ich paß auf, daß sie nicht ins Bild kommen. Mach dir keine Sorgen.« Er griff nach dem Bindfaden, an dem die Tortilla hing. »Wir wollen doch nicht, daß der Herr aussieht, als hätt man ihn zum Trocknen aufgehängt.«
    Sie lachte matt und hoffte im stillen, daß Mrs. Hernandez die Bemerkung überhört hatte. Allmählich konnte sie sich für diese Story sogar erwärmen. Das Gesicht auf der Tortilla erinnerte tatsächlich sehr an Jesus, wenn man einmal absah von der schiefen Nase und einem dunklen Fleck, der sich notfalls als zusätzliches Ohr interpretieren ließ. Sie konnte sich schon die musikalische Untermalung vorstellen, die sie verwenden würde. Etwas Erhebendes und Ätherisches. Aber mit einem sehr menschlichen Touch. Vielleicht etwas aus einem Steven-Spielberg-Film.
    Andererseits – war es überhaupt noch ihre Story? Sie wandte sich an Pater Paddy. »Wollen Sie das in Honest to God bringen?«
    Der Priester verzog das Gesicht. »Wie bitte?«
    »Na ja, Kenan klang so verärgert, daß ich dachte, er hat Ihnen vielleicht …«
    »Nein, nein, nein. Ich bin nur als Berater hier. Das ist Ihre Story.«
    »Oh … tja, wenn das so ist, sollte ich Sie vielleicht dazu interviewen. Damit ich auch die offizielle Meinung der Kirche habe.«
    »Liebste …« Pater Paddy senkte die Stimme und sah sich verstohlen um. »Die Kirche hat keine offizielle Meinung zu dieser Tortilla.«
    »Was müssen wir tun, um eine zu bekommen?«
    Der Kirchenmann kicherte. »Den Erzbischof zu Hause anrufen. Haben Sie dazu Lust?«
    »Sie müssen es ja nicht offiziell zum Wunder erklären. Könnten Sie nicht einfach was sagen wie …« Sie machte eine Pause und versuchte, sich vorzustellen, was es sein könnte.
    » Was denn?«, sagte der Priester. »›Nein, was für eine hübsche Tortilla! Und diese Ähnlichkeit!‹ Ich bitte Sie. Der Erzbischof hat es mit dem Turiner Grabtuch schon schwer genug. Da sollten wir ihm wenigstens die Tortilla von Daly City ersparen.«
    »Moment mal«, sagte sie. »Letzten Dezember, wegen dieser Statue, haben Sie angerufen. Das weiß ich noch.«
    »Wegen welcher Statue?«
    »Sie wissen schon. Die geblutet hat. In Ukiah oder weiß der Geier wo.«
    Der Priester nickte bedächtig. »Ja … das stimmt.«
    »Also … wo ist da der Unterschied?«
    Pater Paddy seufzte geduldig. »Der Unterschied, mein liebes Mädchen, ist, daß die Statue tatsächlich was getan hat. Sie hat geblutet. Diese Tortilla hier mag als Kirchenschmuck ganz charmant sein, aber sie liegt einfach da … oder hängt da, um genau zu sein.«
    Sie gab es auf. »Na gut. Vergessen Sie’s. Dann mach ich es eben ohne.«
    Er machte ein schuldbewußtes Gesicht. »Sind Sie mir jetzt böse?«
    »Nein.«
    »Doch.«
    »Na ja … Sie waren es, der von einem Wunder gesprochen hat.«
    »Und vermutlich ist es auch eins, Liebste.« Er stupste sie unters Kinn. »Ich glaube nur nicht, daß es Nachrichtenwert hat.«
    Das glaubte sie auch nicht, als sie um zehn ermattet nach Hause kam und einen schmollenden Brian in dem kleinen Häuschen auf dem Dach antraf. »Ich konnte es nicht ändern«, sagte sie verlegen. »Ich weiß, du bist sauer, aber solche Sachen passieren nun mal.«
    »Wem sagst du das«, murmelte er.
    »Wir können doch morgen noch da rauf fahren.«
    »Nein, können wir nicht. Ich hab unser Zimmer abbestellt. Wir hatten verdammtes Glück, daß wir überhaupt noch eins gekriegt haben. Ich konnte ja nicht wissen, ob du nicht noch mal so ein Ding abziehst.«
    »Und da hast du gedacht, du läßt es mich büßen. Ist ja fabelhaft.«
    Er sah sie von der Seite an. »Ich laß es dich büßen, hm?«
    Sie beschloß, zu retten, was noch zu retten war, und setzte sich zu ihm aufs Sofa. »Ich wüßte einen Ersatz. Falls es dich wirklich interessiert.«
    »Und zwar?«
    »Wir könnten in eins der kitschigen kleinen Motels am Ende der Lombard Street gehn … das wollten wir doch schon mal machen. Und wir wären in ’ner Viertelstunde da.« Sie fuhr ihm mit dem Zeigefinger den Rücken hinunter. »Würde es das nicht genauso tun?«
    Er grummelte etwas.
    »Und sag nicht, daß es eine blöde Idee ist. Sie stammt nämlich von dir. Sie ist dir gekommen, als wir in Body Heat waren, weißt du noch?«
    Er schüttelte den Kopf. Seine Hände hingen schlaff zwischen seinen Schenkeln.
    »Außerdem«, fügte sie hinzu, »ein bißchen schummriges Neon, finde ich, würde bei uns beiden

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