Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Garten führte. Er lief los, um sie abzuschließen.
Wilfred folgte ihm wie ein ängstliches Hündchen. »Vielleicht ist es der dicke Kerl, den ich gesehn hab.«
»Welcher dicke Kerl?«
»Weißt schon. Als diese Zicke hier war.«
»Ach so.«
Als er die Tür abschloß, sah er in den dunklen Garten hinaus, aber er konnte nur das düstere Filigran der verrosteten Matratzenauflage erkennen, die am Zaun lehnte. Der Himmel reflektierte die Lichter der Stadt in einem kitschigen orangerosa Schimmer. Nirgends bewegte sich etwas. Er ging zum Schiebefenster in der Küche und zerrte an der unteren Hälfte. »Das verdammte Ding geht nicht ganz zu.«
»Wir haben oben auch so eins«, sagte Wilfred mit einem sachlichen Nicken. »Sag mal … was ist eigentlich los? Hat jemand was vor?«
»Ich weiß nicht. Sie scheint so was zu glauben.«
»Warum gehn wir nicht einfach weg?«
»Das geht nicht. Miss Treves will doch vorbeikommen.«
Der Junge schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Du hast das Schlafzimmerfenster vergessen.«
»Gott, ja! Du hast recht!«
Sie rannten ins Schlafzimmer, doch das Fenster war bereits verriegelt. Schließlich gingen sie ins Wohnzimmer zurück, wo Michael sich nervös ans Fenster zur Straße stellte und abwartete.
»Was ist, wenn er vor ihr aufkreuzt?«
»Mach es nicht noch schlimmer«, sagte Michael. Ein Wagen fuhr draußen an der wuchtigen Silhouette der Betonmischmaschine vorüber. Michael sah ihm nach, bis er um die Ecke bog und verschwand. Ob Miss Treves ein Auto hatte?
Augenblicke später sah er die kleine Maniküre zu Fuß ankommen. Sie trippelte den Gehsteig entlang wie ein Kobold mit einer Warnung vor der bösen Hexe. Wilfred machte ihr die Haustür auf, ehe sie klingeln konnte.
»Tut mir leid, mein Bester«, sagte sie in einem ernsten Flüstern. Sie huschte ins Zimmer und drückte die Tür hinter sich zu. »Eigentlich sollten Sie mit dieser Sache nicht behelligt werden.«
»Wir sind zu zweit. Das ist mein Freund Wilfred. Er wohnt im ersten Stock.«
Sie nickte dem Jungen zu und wandte sich dann wieder an Michael. »Es kann auch sein, daß gar nichts ist. Ich wollte nur hier sein, falls es … unangenehm wird.«
Na toll, dachte Michael.
Miss Treves ging ans Fenster und sah hinaus.
»Hören Sie«, sagte er, »können Sie mir wenigstens sagen, wer uns ins Haus steht?«
Sie zögerte einen Augenblick und sagte: »Bunny Benbow.«
»Wer?«
»Pssst.« Sie kletterte auf ihren bevorzugten Sessel. »Machen Sie die Vorhänge zu. Bitte. Schnell!«
Während er die Vorhänge zuzog, hörte er draußen Schritte – die schweren, unsicheren Schritte eines Betrunkenen. Der Mann murmelte etwas vor sich hin, aber er lallte so sehr, daß man nichts verstand. Michael hielt den Atem an und sah von Wilfred zu Miss Treves, die regungslos auf der Sesselkante hockte und den Zeigefinger an die Lippen hielt.
Die Schritte hielten an.
Für einen Augenblick war nichts zu hören als das wütende Quietschen von Autoreifen ein paar Ecken weiter. Dann brüllte der Mann ein einziges Wort – Simon! – und stieß eine der Mülltonnen vor dem Haus um. Sekunden später schrillte die Türklingel, und die drei Lauscher verkrampften sich wie Opfer einer simultanen Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl.
Michael und Wilfred warfen Miss Treves einen fragenden Blick zu. Sie schüttelte langsam den Kopf und machte ihnen erneut das Zeichen mit dem Zeigefinger.
Die Klingel schrillte noch einmal. Dann schlug eine Männerfaust dumpf an die Haustür. »Simon! Du elender kleiner Bastard! Ich weiß, daß du da bist! «
Auch jetzt noch verlangte Miss Treves, daß sie sich ruhig verhielten.
»Simon, mein Junge … komm schon … ich bin’s, dein alter Herr … ich tu dir nichts. « Der Mann wartete auf eine Antwort. Dann schlug er einen vernünftigeren Ton an. »Simon … sie erzählt dir Lügen über mich … sie ist eine verdammte Lügnerin, mein Junge … Komm schon, mach auf. Du mußt deinem alten Herrn helfen, Junge.«
Er bekam keine Antwort.
»Simon! « brüllte er wieder.
»He! « brüllte jemand genauso wütend zurück. »Zisch ab! «
Michael sah zu Wilfred, der nach oben zeigte, um anzudeuten, wer der zweite Brüller war.
»Wer war das?« schrie der Mann an der Tür.
»Hier oben, du Blödmann! «
Der Mann torkelte offenbar rückwärts, denn eine weitere Mülltonne fiel scheppernd um. »Du nennst mich Blödmann, du dreckiger schwarzer Bastard? Komm runter und sag das noch mal, du kraushaariger Nigger! «
Der Mann
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