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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Easley-on-Fen steht nicht im Telefonbuch.«
    Eine Cocktailkellnerin blieb vor ihnen stehen. »Was zu trinken, die Herrn?«
    »Nein danke«, sagte Michael. Er warf Wilfred einen Seitenblick zu. »Du?«
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    Michael sah wieder zu der Kellnerin hoch. »Sie kennen nicht zufällig eine Amerikanerin namens Mona Ramsey?«
    Die Kellnerin überlegte kurz und schüttelte den Kopf.
    »Sie ist Ende dreißig. Hat eine Frisur wie Prinzessin Diana. Flucht wie ein Matrose.«
    »Tut mir leid, Süßer. Namen merk ich mir fast nie.« Sie lächelte entschuldigend und ging weiter.
    »Wie lange hast du noch?« fragte Wilfred.
    »Bis wann?«
    »Bis du wieder zurückfliegst?«
    »Oh.« Er dachte nach. »Sechs Tage noch, wenn ich richtig gezählt habe. Ich fliege Dienstag.«
    Wilfred nickte.
    »Warum?« fragte Michael.
    »Na … wir könnten hinfahren.«
    »Wohin?«
    »Weißt schon … nach Easley-on-Fen.«
    »Hm.«
    »Wir könnten über Ostern hin, was meinst du? Gloucestershire ist landschaftlich wunderschön. Wir könnten mit dem Zug fahren. Ich hab ein bißchen Geld auf der hohen Kante. Und wenn wir sie nicht finden … Porzellan ist jedenfalls keins zerschlagen, nicht?«
    Die Ernsthaftigkeit des Jungen ängstigte ihn. »Weißt du«, sagte er vorsichtig, »ich glaube, das mach ich vielleicht.«
    Wilfred sah ihn ratlos an. »Du meinst … ohne mich?«
    Er zögerte.
    »Versteh schon«, sagte Wilfred. »Vergiß es.«
    »Es ist nicht wegen dir«, sagte Michael.
    »Ist ja auch egal.«
    »Nein. Ich will nicht, daß du denkst, ich mag dich nicht.«
    »Ich weiß, daß du mich magst.«
    »Ich glaube bloß … es ist leichter, wenn ich’s allein mache. Ich meine, wenn ich in ihre Szene reinplatze … was immer das ist. Verstehst du, was ich meine?« Er tastete nach der Hand des Jungen und drückte sie.
    Wilfred nickte.
    »Wollen wir tanzen?«
    Der Junge sah sich um. »Hier?«
    »Klar.«
    Wilfred zuckte mit den Schultern und stand auf. Michael legte den Arm um seine Taille und führte. Sie tanzten zu »You Needed Me«.
    »Herrje«, murmelte Wilfred an Michaels Brust. »Wenn mich meine Kumpel jetzt sehn könnten. Das wär vielleicht peinlich.«
    Michael lachte leise. »Geht mir genauso.« Er dachte gerade daran, wie er und Jon in San Francisco am Billardtisch in Peg’s Place herumgeturtelt hatten. Für zwei verliebte Männer war eine Lesbenbar der beste Ort auf der Welt. Er fragte sich, ob Lesben genauso von Schwulenkneipen dachten.
    »Wann willst du fahren?« fragte Wilfred. »Nach Gloucestershire, mein ich.«
    »Ach, Freitag wahrscheinlich.«
    »Seh ich dich danach noch mal?«
    »Klar. Ich werde noch einen Tag da sein, eh ich … nach Hause fliege.«
    »Mhm.«
    »Werd mir jetzt nicht schwermütig, Wilfred.«
    »Is gut.«
    Es war fast Mitternacht, als sie in die Colville Crescent zurückkamen. Wilfreds Vater polterte oben herum und war offensichtlich betrunken. Michael schloß die Wohnungstür auf und sagte zu dem Jungen: »Willst du noch ein bißchen reinkommen? Wenigstens, bis er eingeschlafen ist.«
    Wilfred nickte und folgte ihm ins Wohnzimmer, als das Telefon klingelte. Michael nahm den Hörer ab und ließ sich aufs Sofa plumpsen.
    »Hier ist Miss Treves«, sagte die Stimme am anderen Ende.
    »Oh. Hallo.«
    »Hören Sie, mein Bester … hatten Sie irgendwelchen Ärger?«
    »Ärger?«
    »Na ja … hat sich jemand draußen herumgetrieben?«
    »Nein, nicht, daß ich wüßte. Was soll das?« Ihre ominösen Warnungen und Andeutungen gingen ihm allmählich auf die Nerven.
    »Ach, na ja … es könnte vielleicht ein bißchen … wahrscheinlich nichts Ernstes, aber ich dachte, es ist besser, ich sag Ihnen Bescheid … für alle Fälle. Es hat ein Mißverständnis gegeben, und der dumme Esel ist betrunken, und da …«
    »Miss Treves …«
    »Bleiben Sie einfach, wo Sie sind, mein Bester. Ich komme gleich vorbei. Dann erkläre ich Ihnen alles.«
    »Gut, aber …«
    »Schließen Sie die Tür ab. Lassen Sie niemand rein. Sehen Sie auch die Fenster nach. Ich bin in fünf Minuten da.«
    Sie legte auf.
    Michael stand auf. Ihm war ein bißchen schwindelig.
    »Wer war dran?« fragte Wilfred.
    »Miss Treves.«
    »Wer? Ach … die Liliputanerin?«
    »Sie hat gesagt, ich soll die Türen und Fenster dichtmachen.«
    »Warum?« fragte der Junge.
    »Gute Frage. Weil jemand betrunken ist. Es ergibt keinen Sinn. Sie kommt rüber und will’s mir erklären …« Er unterbrach sich, weil ihm die Tür einfiel, die von der Küche in den

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