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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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ihn verbittert an.
    »Ich muß die Wahrheit wissen, Miss Treves.«
    »Mein Bester … ich sage Ihnen ja die Wahrheit.«
    Er griff nach ihrer kleinen Kinderhand. »Die ganze?«
    Sie gab einen resignierten Seufzer von sich. »Mr. Bardill war steril.«
    Er nickte ihr aufmunternd zu.
    »Die Bardills wollten unbedingt ein Kind. Unbedingt.« Sie rieb sich mit einer kreisenden Bewegung der Fingerspitzen die Schläfen, als wollte sie einen Dämon vertreiben. »Entschuldigen Sie, mein Lieber. Auf dem Wandbord über dem Kühlschrank steht eine Flasche Cognac. Könnte Sie so nett sein …«
    »Ich hol sie«, piepste Wilfred. Er sprang auf und machte auf dem Weg zur Küche einen Bogen um den toten Bunny Benbow.
    »Sie müssen mein Freund sein«, sagte sie zu Michael.
    »Ich bin Ihr Freund.« Er drückte ihre Hand. »Sie haben mir schließlich die Fingernägel gemacht, nicht?«
    Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. Wilfred kam mit einem Cognacschwenker zurück. Nach zwei energischen Schlucken hielt sie ihm das leere Glas hin. »Danke, mein Lieber.«
    »Gern geschehen«, erwiderte Wilfred und setzte sich wieder auf den Boden. Er stützte das Kinn auf die Faust und betrachtete die beiden, als säße er vor einem Fernseher, den er gerade eingeschaltet hatte. »Laßt euch von mir nicht stören.«
    Michael wandte sich an Miss Treves. »Also …?«
    »Ja. Also, wie gesagt, Mr. Bardill war steril … und das hat beiden große Sorgen gemacht. Als wir sie im Selmun kennenlernten, wußte ich gleich, daß …«
    »Im was?«
    »Im Selmun Palace Hotel. Wo wir aufgetreten sind.«
    »Ach so.«
    »Es war ein reizendes altes Gebäude, weit außerhalb von Valletta … auf einem Hügel, mit Blick aufs Meer. Einer der Malteser Ritter hatte dort vor langer Zeit mal gewohnt. Die Hotelgäste waren alle reizende Menschen, und die Bardills waren die reizendsten von allen. Sie war eine berühmte Schauspielerin, aber kein bißchen eingebildet. In Valletta kauften sie sich Fahrräder, mit denen sie auf der ganzen Insel rumfuhren, sie trug wunderschöne Schals, die hinter ihr im Wind flatterten wie …«
    »Miss Treves.« Das mit dem Cognac war eine ganz schlechte Idee gewesen. »Unsere Zeit ist knapp.«
    Sie nickte. »Sie sollen nur wissen, daß ich die Bardills nicht als Fremde empfand. Ich hatte damals das Gefühl, als würde ich sie schon ein Leben lang kennen.«
    »Na schön.«
    »Ich wußte, daß ich ihnen vertrauen kann.«
    Er nickte.
    »Auf jeden Fall … eines Abends machte Mrs. Bardill mit Bunny einen langen Spaziergang und erzählte ihm … von Mr. Bardills Problem. Bunny bot an, alles Nötige zu tun, damit sie … zu einem Kind kommen.«
    »Sie meinen, eins adoptieren?«
    »Nein«, sagte sie leise. »Eins kaufen.«
    Wilfred stockte der Atem. Michael warf ihm einen kurzen Blick zu und wandte sich wieder an Miss Treves. »Aber Sie haben doch gesagt, daß er … Wollen Sie etwa sagen, es war sein Kind? Er hat Simon an die Bardills verkauft, weil sie sich ein …«
    »Ja«, antwortete sie, ehe er ausreden konnte.
    »Er hat sein eigenes Kind verkauft?«
    »Unser Kind.«
    Er sah sie verständnislos an.
    »Simon ist mein Sohn.«
    In der Colville Crescent rauschte ein Wagen durch eine Pfütze. Wilfred machte große Augen. Da von Michael keine Reaktion kam, fühlte sich Miss Treves zu einer Erklärung genötigt: »Es kann eine Generation überspringen, wissen Sie.«
    Er schluckte verlegen. »Entschuldigung, ich wollte nicht …«
    »Seien Sie nicht albern. Es ist nicht grade das, was man erwarten würde, nicht?«
    »Nein … wahrscheinlich nicht.«
    »Bunny und ich waren nicht verheiratet. Wir waren nicht einmal ein Liebespaar im üblichen Sinn. Es war in erster Linie eine berufliche Verbindung. Wir waren Partner. Simon war einfach das Ergebnis einer … leichtsinnigen Nacht. Es war ein dummer Fehler, aber wir haben uns ganz gut aus der Affäre gezogen. Bis heute.«
    Michael zögerte, ehe er sie fragte: »Sie … wollten gar kein Kind?«
    »Nein, mein Bester.« Sie schenkte ihm ein liebreizendes Lächeln. »Ich wollte Karriere machen.«
    Er nickte.
    »Ehrlich gesagt, ich wollte ein Star werden, aber es sollte nicht sein. Bunny raubte das Hotel in Brighton aus, und für mich brach eine Welt zusammen. Wenn mich die Bardills nicht als Simons Kindermädchen genommen hätten …«
    »Sie nahmen Sie auf, obwohl sie wußten, daß Sie Simons …«
    »Aber nein! Bunny hatte ihnen gesagt, Simon wäre das Kind einer jungen Frau aus Valletta. Er hatte

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