Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
untergehenden Sonne, und der uralte Kalkstein bekam einen prachtvoll rötlichen Schimmer. Er hatte diesen Farbton immer gemocht, diese Mischung aus Orange und Pink, die bei jeder Veränderung des Lichts changierte. Er und Jon hatten einmal ein Schlafzimmer in dieser Farbe gestrichen.
Es gab offensichtlich keine Möglichkeit, sich dem Haus unbemerkt zu nähern. Man konnte ihn aus Dutzenden von Fenstern beobachten; ganz zu schweigen von dem Balkon, der sich über die Front des Hauses erstreckte. Na schön, dann mußte er also wie ein ganz normaler Besucher auf das Haus zugehen.
Mhm. Und was sollte er ihnen sagen? Entschuldigen Sie, mir ist ein kleiner schwuler Aborigine abhanden gekommen.
Ihnen? Wem denn? Es hatte einige Zeichen von Leben im Haus gegeben – neuere Zeitschriften; Ansichtskarten, hinter Spiegelrahmen gesteckt –, aber ansonsten hatte das Haus einen unbewohnten Eindruck gemacht. War Lord Roughton, abgesehen von Mona, allein? Wohnte er überhaupt hier? Und angenommen – nur mal angenommen –, daß es gar nicht Mona war?
Er beschloß, sich am Haupteingang als legitimer Besucher zu präsentieren. Ein absurdes Vorhaben, wie ihm klar wurde, als er den Türklopfer betätigen wollte – einen rostigen Eisenring, der fast die Größe eines Kummets hatte. Die Tür war zugenagelt. Seit Jahre war hier niemand mehr eingetreten.
Er ging zurück zu dem Bogengang, der das Haupthaus mit dem Brauhaus verband. Als er vor der Küchentür stand, klopfte er an, und schon nach wenigen Sekunden hörte er drinnen jemanden kommen. Die Frau mit der Lady-Di-Frisur machte die Tür auf und funkelte ihn an.
»Du bist ein Arschloch«, sagte sie. »Ich hoffe, das weißt du.«
Ethelmertz
AlsMary Ann von ihrer Aerobicstunde bei Peter & Paul zurückkam, stieß sie auf Simon, der sich im Garten ausgestreckt hatte und ein Sonnenbad nahm. »Tja«, sagte sie, »ich sehe, du hast Barbary Beach entdeckt.«
»Oh … hallo.« Er stützte sich auf die Ellbogen und blinzelte in die Sonne. »So heißt das also?«
Sie nickte. »Der Name stammt von Michael.«
»Ah.«
»Paß auf, daß du nicht zuviel abkriegst. Du bist schon ein bißchen rot.«
Er kniff sich in den Unterarm. »Na … wenigstens ein Beweis.«
»Für was?«
Er sah sie mit einem zärtlichen, versonnenen Lächeln an. »Meine Fahnenflucht ins sonnige Kalifornien.«
»Ach so. Schade, daß nicht schöneres Wetter war.«
»War auch so ganz gut.«
»In London war es laut Michael genauso schlecht.«
»Ja, hab ich gehört.«
Sie setzte sich zwei Schritte von ihm entfernt auf die Gartenbank. »Ich kann’s nicht fassen, daß du schon in zwei Tagen wegfährst. Es kommt mir vor wie gestern. Olive Oil’s, meine ich.«
Er schien nicht zu wissen, was sie meinte.
»Die Kneipe, wo wir uns kennengelernt haben«, ergänzte sie.
»Oh … ja. Geht mir auch so.«
»Was machst du … wenn du wieder zu Hause bist?«
Er zuckte mit den Schultern. »Etwas Ziviles, würde ich sagen. Vielleicht im Verlagswesen. Das reizt mich eigentlich sehr. Mein Onkel Alex arbeitet bei William Collins. Ich denke, er wird sich für mich einsetzen.«
»Ist das ein Verlag?«
»Mmm. Sie drucken die Bibel. Unter anderem.«
»Aha.« Die Vorstellung entlockte ihr ein Schmunzeln. »Das klingt ein bißchen … soigniert.«
Er lächelte. »Ich bin ein bißchen soigniert.«
»Ja«, sagte sie und kicherte. »Ich schätze, das stimmt.«
Er schwieg einen Augenblick und fixierte sie mit seinen dunklen Augen. Dann sagte er: »Deine Freundin, äh, Connie war hier.«
»Wann?« Wurde man die Frau überhaupt nicht los?
»Als du beim Aerobic warst. Sie hat einen enttäuschten Eindruck gemacht, weil du nicht da warst.«
»Ach … na ja …« Es war ihr wirklich gleichgültig und es störte sie nicht, wenn man es merkte.
Er lächelte. »Du bist nicht enttäuscht, was?«
»Ja ja, sie ist eine ziemliche Nervensäge.«
Er nickte.
»Sie ist eine von diesen Jugendfreundinnen, die man nicht mehr los wird. Ich hab nichts gegen sie, aber wir haben nicht besonders viel gemeinsam. Wollte sie … äh … was Bestimmtes?«
»Nein.«
»Ist sie immer noch schwanger?«
»Sehr«, sagte er schmunzelnd.
Sie stand auf. »Tja … dann verzieh ich mich jetzt mal. Bleibt es bei heute abend?«
»Zum Essen?«
»Ja.«
»Sicher. Mit Vergnügen.«
Sie wandte sich zum Gehen und blieb noch einmal stehen. »Und sei vorsichtig mit der Sonne.«
Drei Stunden später saßen sie an einem Tisch mit Blick auf den Washington Square. »Du
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