Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Hamburgers. »Hast du darum gesagt, sie sollen die Zwiebeln weglassen?«
Sie lachte nervös.
Mit einem leicht ironischen Lächeln griff er nach der Rechnung. »Komm«, sagte er.
Unter einem Himmel in tiefstem Lila machten sie sich auf den Heimweg. Sie war erleichtert, als es den Russian Hill hinaufging, denn der steile Anstieg machte das Reden schwer, und sie hatte für diese Gelegenheit keinen passenden Smalltalk parat. Simon ging es anscheinend genauso.
Der Zufall wollte es, daß Mrs. Madrigal im Garten war und ihren Abendjoint rauchte. Ihr Outfit war alles andere als mütterlich – Paisleykaftan, violette Freizeithose, baumelnde Peter-Macchiarini-Ohrringe, blaßgrüner Lidschatten –, doch Mary Ann fühlte sich seltsam schuldbewußt wie ein flatterhafter Teenager, den die strenge Mutter bei etwas ertappt hat.
»Herrlicher Abend«, sagte die Vermieterin.
»Ja, nicht?« antwortete Simon.
»Wundervoll«, sagte Mary Ann.
Mrs. Madrigal machte einen Zug an ihrem Joint und hielt ihn den beiden hin. »Möchte jemand …?«
Sie lehnten dankend ab.
»Früh zu Bett, was?« sagte sie mit einem Lächeln.
Mary Ann spürte, wie ihre Wangen brannten.
Simon half ihr aus der Patsche. »Können Sie sich das vorstellen … morgens um fünf aufstehen? So schlimm war es nicht mal in der Marine Ihrer Majestät!«
»Sie werden es nicht bereuen«, meinte die Vermieterin. »Es ist eine wunderschöne Andacht. Eigentlich mehr heidnisch als christlich.« Ein schelmischer Ausdruck erschien in ihren großen blauen Augen. »Ich schätze, darum hab ich es immer so gemocht. Tja … ich will euch nicht aufhalten, Kinder. Geht nur. Schlaft gut.«
Als sie im Haus waren und die Treppe hinaufstiegen, sagte Simon: »Bin ich nur paranoid, oder kann diese Frau Gedanken lesen?«
»Das frage ich mich seit Jahren«, sagte Mary Ann.
Im ersten Stock blieb Simon stehen. »Entschuldige die dumme Frage, aber … zu mir oder zu dir?«
Darauf war sie vorbereitet. »Zu dir.«
Er nickte. »Gut.«
Als er den Schlüssel in die Tür steckte, mußte sie daran denken, daß es Michaels Wohnung war – und daß sie ihm niemals von dieser Nacht erzählen durfte. Der Gedanke stimmte sie ein wenig traurig. Sie hatte sonst nie Geheimnisse vor Mouse.
Kaum hatte Simon die Tür geschlossen, galt sein erster Gedanke dem Brandy. »Was ist mit dir?« fragte er und hielt die Flasche hoch. »Auch einen kleinen?«
»Oh … ja, danke. Kann ich mal dein Bad benutzen?« Die Frage war angesichts der Umstände linkisch und viel zu formell.
Simon spürte es. »Mein Haus ist dein Haus«, sagte er.
Im Badezimmer entdeckte sie, was sie zu finden hoffte: den vertrauten klebrigen Ausfluß, die unverkennbaren Mittelschmerz- Tränen.Hastig machte sie ihr Gesicht zurecht und vergewisserte sich, daß sie keine Essensreste zwischen den Zähnen hatte. Dann ging sie ins Wohnzimmer zurück.
Simon hatte inzwischen nur noch seine braune Cordhose an. Er gab ihr ein Glas Brandy.
»Danke.« Sie trank die Hälfte und wartete, bis das brennende Gefühl im Magen nachließ.
»Trink deine Medizin«, sagte Simon. Es klang fast ein wenig vorwurfsvoll.
»Wie fühlst du dich?« fragte sie.
»Gut.«
»Schön. Ich auch.« Sie kippte den Rest Brandy und stellte das Glas ab. »Könnten wir … äh … ins Schlafzimmer gehen?«
»Was hast du gegen hier?« meinte er achselzuckend.
»Ich weiß nicht.« Sie schaute kurz auf das Poster mit dem verchromten Rahmen an der Wand gegenüber. »Bette Midler sieht uns zu.«
Simon lächelte. »Und im Schlafzimmer sieht uns Christopher Isherwood zu.«
»Du hattest diese Diskussion schon mal«, sagte sie grinsend.
»Ein paarmal.« Sein schmachtender Blick hatte etwas Verspieltes.
»Jede Wette.«
Sein Blick verweilte noch einen Augenblick auf ihr, dann nahm er sie an der Hand und führte sie ins Schlafzimmer. Sie zogen sich aus, und als Simon auf ihr lag, packte sie seine kleinen, perfekt modellierten Hinterbacken und versuchte angestrengt, an Brian zu denken. Es schien ihr das mindeste zu sein, was sie tun konnte.
Mo
In der Küche herrschte wie üblich Grabeskälte, also setzte Mona den Butanheizofen in Betrieb und rollte ihn in die Ecke neben der Spüle. Durch die rautenförmigen Fensterscheiben über der Anrichte sah sie blauen Himmel, aber der unverhoffte Sonnenschein konnte nichts ausrichten gegen die feuchte Kälte von Easley House, die einem bis ins Mark kroch.
Zwischen Teddys bunt zusammengewürfeltem Geschirr fand sie zwei angestoßene
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