Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Paris und später in Berlin und Hamburg, wo ich zwischen Ausbildungsende und Berufsbeginn hin- und herpendelte, lief das so mit dem Sozialkontakt: Wollte ich Kontakt mit Nachbarn, gestaltete sich dieser meist unkompliziert und nett. Wollte ich keinen (oder sie), ließ man sich in Ruhe. Frauen, die ich neu kennenlernte, hatten keine Vorgeschichten über mich im Kopf, unerfreuliche Flirts kreuzten nie wieder meinen Weg. Ein sehr entspanntes Dasein.
In der Lebensphase zwischen zwanzig und dreißig ist man ein Wohnnomade beziehungsweise eine Wohnnomadin. Die Generation Praktikum baut ihre Zelte auf und ein paar Semester, Monate oder Wochen später wieder ab. Befristete Arbeitsverträge verlängern diese Lebensphase zum Teil über Jahre. Der Großstadt ist’s egal. Besser noch: Sie ist auf solche Menschen eingerichtet. Sie empfängt sie, bietet ihnen Heimat, und wenn auch nur zur Untermiete oder als Couchsurfer, Hauptsache das WLAN läuft und die Busse, Züge und Mitfahrgelegenheiten stehen bereit, wenn man sie braucht.
Alles ist temporär, das Hab und Gut passt statt auf ein Kamel meist in ein einziges Auto, zur Not auch obendrauf. Der Rest wird verschenkt oder verkauft. Von einer Großstadt in die nächste, immer flexibel, always on the run.
Die Mietwohnung
Die Ansprüche steigen mit dem Älterwerden. Wir ziehen als Paar zusammen oder wieder auseinander. Kriegen Kinder oder keine. Verdienen viel Geld oder wenig. Egal was das Leben für uns parat hat, die Wohnfrage bleibt immer aktuell, ist immer wieder Thema. Denn ja, es gibt die Option auf Veränderung unter Großstädtern. Bleiben wir im Kiez? Vergrößern oder verkleinern wir uns? Wir suchen etwas in der Nähe des Arbeitsplatzes, denn Pendeln bedeutet Stress (s. Kapitel 7) und schadet der Umwelt (s. Kapitel 9). Es beginnt die lange Phase der wohnlichen Selbstfindung. Darf’s eine genossenschaftliche Lösung sein, lieber die klassische Mietwohnung oder doch eine ökologische Gestaltung? Nichts muss für ewig sein, verbessern geht immer.
Das Leben in einer Mietwohnung ist in Deutschlands Großstädten das verbreitetste Modell. In Berlin beziehungsweise Hamburg sind 85 beziehungsweise 80 Prozent des Wohnraums Mietwohnungen. Es ist das kleinste commitment , man legt sich nicht fest. Die Nachteile sind klar: Ich zahle viele Jahre für etwas, das mir nie gehören wird. Habe also niemals eigene vier Wände. Es gibt Menschen, die diese Vorstellung nicht aushalten. Andere empfinden gerade das als Vorteil. Ausziehen zu können, wenn die Nachbarn nerven. Sich niemals Badezimmerfliesen aussuchen zu müssen. Stattdessen ab und zu eine Mail an den Vermieter schicken zu können: »Lieber Herr G., es tut mir leid, aber die Gastherme macht es nicht mehr. Könnten Sie so nett sein …« Und dann kommen Handwerker, bauen eine neue Gastherme ein, und es kostet nichts extra. Und wem das Haus, die Straße, der Kiez nicht mehr gefällt, der ruft den Umzugslaster an.
In den großen Städten kann man dieses Spiel lange spielen. Mit wenig Geld wohnt man in den weniger hippen, weniger renovierten Bezirken mit weniger Quadratmeter, einer lauteren Straße vor dem Fenster und womöglich noch einem Gemeinschaftsklo »halbe Treppe«. Wem nichts zu teuer ist und das Glück bei der Suche hold, der gönnt sich Stuck, Flügeltüren, diverse Bäder und Balkone. Oder gleich das Penthouse mit Carlift und Concierge.
Schwieriger gestaltet sich die Suche meist für die Otto Normalfamilie (angenehmer Kiez, drei, vier Zimmer, Küche, Bad). Genau diese Wohnungen sind so rar und teuer, dass viele sich aufs Land besinnen, in der Hoffnung, durch geringere Wohnkosten massig Geld zu sparen. Böse Falle! Denn der Job bleibt ja meist in der Stadt. Experten haben im Auftrag des Umweltbundesamts und des bayerischen Innenministeriums die wahren Kosten des Landlebens berechnet und kamen zu dem Schluss, dass die meisten Rauszieher systematisch unterschätzen, welch hohe Mobilitätskosten auf sie zukommen. Mindestens ein Auto, meist zwei Autos werden gebraucht, dazu der ständig steigende Benzinpreis, von dem man gnadenlos abhängig wird. Was kommt am Ende des Monats dabei raus? Die Experten verglichen die Wohn- und Mobilitätsausgaben einer durchschnittlichen Vater-Mutter-Kind-Familie aus dem Münchner Innenstadtbezirk Au-Haidhausen mit einem ländlichen Pendant aus dem Ort Ebersberg, vierzig Kilometer von der Innenstadt entfernt. Trotz Pendlerpauschale sparten die Landbewohner am Ende des Monats nur 281 Euro, sie
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