Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Großstädten über 500000 Einwohner, wo nur jeder Fünfte in den eigenen vier Wänden lebt. Landbewohner sind da wesentlich kauffreudiger – und entsprechend fester verbunden mit ihrer Scholle.
Meine Scholle ist die Großstadt. Und so entschloss ich mich jüngst, das Mieterdasein hinter mir zu lassen und eine Wohnung zu erwerben. Natürlich nicht in Suburbia, sondern mittendrin und daher auch eher klein als groß, aber das scheint mir ein fairer Deal. Die Herangehensweise war bestechend konventionell: Der Bauträger baute, ich kümmerte mich um die Finanzierung, unterschrieb den Vertrag im Rohbauzustand, wählte meine Fliesen aus und bekomme die Wohnung ein Jahr später schlüsselfertig überreicht – wenn alles gut geht.
Ich hätte das Thema Eigentumserwerb freilich auch ganz anders angehen können. Das ist der große Vorteil in der Stadt: Hier stehen diverse Bau- und Kaufmodelle für genau die Wohnform zum Angebot, die das Herz begehrt und das Bankkonto mitmacht. Neubauwohnungen, Altbauwohnungen, Hochhauswohnungen, gut gelegen und entsprechend teuer oder weniger gut platziert und somit günstig – die Spanne ist riesig zwischen Dachgeschoss mit Terrasse, Erdgeschoss mit Garten, Loft, Miniapartment oder Maisonettewohnung. Unsaniert oder tipptopp hergerichtet? Vom Bauträger, vom privaten Verkäufer oder über Makler? Oder lieber gemeinsam mit anderen als Mitglied einer Baugruppe (auch genannt: gemeinschaftliches Bauherrenmodell) oder einer Genossenschaft? Es gibt nichts, was es nicht gibt.
Draußen, da findet man fast nur den Typus »Einfamilienhaus«, wahlweise in Allein-, Doppel- oder Reihenendlage mit mehr oder weniger großem Grundstück und je nach Baujahr mehr oder weniger modernen Grundrissen und Wärmeisolierungen (s. Kapitel 9). Das Problem daran: Aus dem Traumhaus wird ein »Albtraumhaus«, wie der Spiegel im Herbst 2012 titelte, wenn die Liebe zerbricht, die Arbeitsstelle gewechselt werden muss, die Kinder groß sind oder die Gesundheit nachlässt. Warum? Weil man es kaum mehr loskriegt. Von einer »großflächigen Entwertung« der klassischen Einfamilienhausgebiete in ländlichen Regionen und Kleinstädten sprechen Architekten wie der Stuttgarter Professor für Städtebau, Franz Pesch. Seine Kollegin Hildegard Schröteler-von-Brandt von der Universität Siegen drückt aus, was das vor allem für ältere Hausbesitzer bedeutet: Es ist fraglich, ob das eigene Haus noch für die Finanzierung eines Zimmers im Seniorenheim ausreiche, denn keiner will es kaufen. Die Nachfrage steigt aus gutem Grund vor allem in den großen Zentren.
Wenn Nachfrage und Preis steigen, setzen sich häufig die Reichen durch – oder die mit den guten Ideen. In den vergangenen Jahren sind daher in allen deutschen Großstädten Baugemeinschaften ungemein populär geworden. Sie eröffnen Stadtplanern neue Spielräume bei der Entwicklung von Quartieren, weil sie es mit einem anderen Typ Bauherr oder Baudame zu tun haben: mit Menschen, die bereit sind, sich für einen günstigeren Grundstücks- und Baupreis gemeinschaftlich – in der »Baugruppe« – beim Planungs- und Bauprozess zu engagieren. Das kostet unter Umständen viele Nerven, aber deutlich weniger Geld. Und bindet die Menschen nach dem Einzug für lange Zeit an ihren »Kiez«.
Erfolgreich und großflächig erprobt haben das Baugemeinschaftsmodell in den 1990er Jahren Tübingen und Freiburg, als die Kasernen des französischen Militärs frei wurden. Heute gelten sowohl das Französische Viertel in Tübingen als auch das Freiburger Quartier Vauban dank ihrer ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Bauweise europaweit als Vorzeigequartiere in ganz Europa.
Jünger ist das Engagement der Stadt Leipzig mit ihrem »Selbstnutzer-Programm«. Eigentumswillige werden dabei unterstützt, Grundstücke oder Gründerzeitbauten in der Innenstadt zu erwerben und gemeinschaftlich aufzumöbeln: durch Sanierung, Entkernung, Modernisierung oder auch komplette Neubauten. Vertreter der Stadt bringen Interessenten für Neubau-Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen in Mehrfamilienhäusern oder Mehrgenerationenhäusern zusammen, bieten architektonische und finanzielle Expertisen an und begleiten den gesamten Planungs- und Bauprozess bis zum Einzug. Bis Ende 2008 haben so rund 700 Leipziger Familien, Paare und Einzelpersonen ihre eigene Bleibe bezogen. Und es kommen stetig neue Projekte hinzu.
Sie sind zentral gelegen, bieten Licht, Platz und Komfort, im Innern lodern Kamine, draußen
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