Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Festen, vom Osterbrunch und vom Sommerfest. Kamalesh Chatterjee, 75 Jahre alt und indischer Abstammung, lebt mit seiner Frau seit 2007 hier. Er macht Gymnastik und zeigt den anderen Tai Chi – und trommelt die Mitbewohner zusammen, wenn es mal wieder Zeit ist für ein kleines Fest. Bei 26 Bewohnern findet sich immer jemand, der Lust hat, etwas zu unternehmen. Klar knirsche es auch mal, der eine brauche viel Nähe, dem anderen dürfe man nicht zu nahe kommen, »aber wir einigen uns schon«. Und wenn es einem mal schlecht gehe, seien alle Meinungsverschiedenheiten vergessen, dann helfe man sich: »So viel kann man gar nicht essen, wie da für einen eingekauft wird, wenn man mal nicht aus dem Haus kann.«
Vielleicht haben sie alle mal von der Großfamilie geträumt, in deren Armen und Umgebung sie alt werden. Doch die Verhältnisse hätten sich eben geändert. Das sagt Herbert Hartmann unsentimental. Junge Menschen würden fortziehen aus ihrem Geburtsort und fortbleiben. Wenn die Bremerhavenerin oder Herbert Hartmann darüber einmal traurig gewesen sein mögen, heute freuen sie sich über das entspannte Miteinander. »Unser Modell ist genauso gut wie die Großfamilie.« Auch in Familien gebe es schließlich mal Reibereien.
Ab 2020 werden in Deutschland etwa 17 Millionen Menschen zur Generation Ü65 zählen. Durch die Zunahme von Einpersonenhaushalten, dem zahlenmäßigen Rückgang der jüngeren Altersgruppen und der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen wird die Pflege alter Menschen innerhalb der Familie in Zukunft immer weniger zu leisten sein. Wohl dem, der da eine Nachbarin hat, die anklopft, weil das »Metallding« nicht im Briefkasten liegt, und bei Bedarf den Einkauf mit erledigt.
Wer allerdings auch im Alter lieber weiter allein wohnen möchte, der kann das natürlich auch in der Stadt am besten. Schon immer fand sich für Individualisten in der Stadt auch dafür ein Weg. Und nach 1968 auch für Frauen. Im säkularen Deutschland war das freiwillige Alleinewohnen nichts Ungewöhnliches mehr. Schließlich: »Stadtluft macht frei.«
Ich stelle mir also vor, ich lebe als fidele alte Dame weiter in Berlin. Wenn alles einigermaßen rundläuft, werde ich jeden Vormittag – auch der alte Mensch braucht Rituale – meinen Rollator aus der Wohnung schieben, in den Aufzug tappen und hinunterfahren. Wenn ich nicht verbiestert geworden bin, gibt es viele Möglichkeiten für einen kleinen Schwatz. Ich spaziere zum Bäcker, hole mir ein Kuchenstück für den Nachmittag und ein Brötchen für den Abend. Die Bankfiliale wird vermutlich zugemacht haben, schließlich machen sogar so alte Zausel wie ich alles per Internet. Eine Straße weiter gibt es aber noch einen Supermarkt, der tägliche Einkauf bringt Abwechslung. Hier, in meiner geliebten Stadt, sind die Wege kurz, zum Arzt (s. Kapitel 7) oder zum Supermarkt. Und wenn es mir mal schlechter geht, organisiere ich mir den mobilen Pflegedienst aus dem Kiez. Auf dem Rückweg schiebe ich meine Gehhilfe die Rampe hoch zum kleinen Park. Darauf freue ich mich immer sehr. Die Bäume im Park sind mir Natur genug. Im Wald spazieren gehen könnte ich ohnehin nicht. Die Kinder aus der nahen Kita spielen hier. Ein Mädchen winkt mir immer, ich winke zurück. Und offen gesagt: Ich linse immer hinüber, zu der Bank unterm Holunderbusch. Da sitzt oft am Vormittag ein älterer Herr. Ich bin mir sicher, er schaut heimlich über seine Zeitung, ob ich auch schon da bin. Dann grüßt er. Ich glaube, ich muss da mal ein Gespräch einfädeln.
Es ist nie zu spät für Frühlingsgefühle. Jedenfalls in der Stadt. Wie Menschen dort zueinanderfinden, sei es mit den ersten Hormonschüben oder im ach so gelassenen Alter, darum wird es im nächsten Kapitel gehen.
Meine Stadt und ich
Tina Padberg, 25, lebt in Nürnberg in einer 280-Quadratmeter-WG zu viert
■ Warum leben Sie in der Stadt?
Ich bin von Berlin nach Nürnberg gezogen, um hier eine Stelle als Radiomoderatorin anzunehmen.
■ In welchen Momenten empfinden Sie es als Glück, in der Stadt zu leben?
Wenn schönes Wetter ist und die Biergärten voll sind. Die bayrische Weißbierkultur hat was, und zudem hat Nürnberg auch ein mediterranes Flair, die kleinen Gassen und das Kopfsteinpflaster erinnern an Italien.
■ Haben Sie einen Lieblingsort in Ihrer Stadt?
Ich mag die Innenstadt sehr, zum Beispiel die vielen Cafés an der Tegnitz und die Häuser am Wasser
■ Ist denn Ihre Stadt auch Ihre Lieblingsstadt?
Nein, an Berlin kommt
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