Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Schild »300 Jahr Jubiläum Abwehr der Türken vor Wien, 1983«. Wären die osmanischen Truppen damals weiter gekommen, blickten wir nun nicht auf den Stephansdom, sondern auf die Minarette einer Moschee. Eigenartige Vorstellung, aber wäre Wien dann weniger Stadt gewesen und geworden? Vielleicht wäre Wien heute ein zweites Konstantinopel, so wie die Stadt am Bosporus zum zweiten Rom wurde? Was ist Stadt?
Auf dem Enzi hingegossen, schlägt Maribel mir für die nächsten Tage die volle Dröhnung Kunst und Kultur vor. Nach dem Studium in München nomadisierte die Kunsthistorikerin über Paris, Kassel und Hannover nach Wien. Überall habe ich sie besucht, und immer schleppte sie mich in Galerien und Museen, zu Theaterprojekten – und in die schicksten Restaurants. Von Maribel lernen heißt Kultur und Lebensart lernen. Und jetzt soll sie mir Wien entschlüsseln helfen. »Morgen gehst du ins MUMOK «, trägt sie mir auf. Der lavaschwarze Kasten, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, ragt hinter unseren Enzis auf. Vom weißen Pendant gleich gegenüber im Museumsquartier, dem Leopold-Museum, hält die Kunsthistorikerin weniger, weltgrößte Schiele-Sammlung hin oder her. Das Museum »hätte es nicht gebraucht«, polemisiert sie. Die guten Stücke der Sammlung hätten ins Belvedere gehört, dort stehen 800000 Besucher jährlich vor Klimts Der Kuss und anderen Meisterwerken von Klimt, Schiele, Kokoschka, Renoir, Monet, van Gogh.
Wien hat schließlich schon weltrenommierte Museen, wie dieses im Schloss Belvedere, im Barock erbaut von Prinz Eugen. Bereits 1903 öffnete dort eine erste Galerie, denn Wien war zu einem Zentrum moderner Bildkunst geworden. Zur selben Zeit stellte die Stadt auch der Secession, jener von Klimt vorangetriebenen Abspaltung vom Wiener Künstlerhaus, ein Grundstück am Naschmarkt zur Verfügung. Unter der gold leuchtenden durchwirkten Kuppel fand 1898 die erste Ausstellung statt. Die Städter konnten alles, was neu war, auch gleich bestaunen. Und das wollten nicht nur die Wiener sehen, die Welt reiste herbei.
Stadt kann Gesamtkunstwerk und Spielwiese für die eigene Inszenierung oder die Verwirklichung von – manchmal eitlen – Träumen sein. So stört meine kritische Freundin am Leopold-Museum, dass der Stifter selbst Direktor auf Lebenszeit sein wollte und wurde. Und schon sind wir mittendrin in der Diskussion, was ist Kultur, was braucht’s, wer bezahlt es und wozu das Ganze? Sollte eine Stadt nicht froh sein, wenn einer ihr einen ganzen Arm voll klassischer Moderne schenkt, all die Originale, deren Abbilder als Endlosschleife die Wien-Devotionalien in den Souvenirshops schmücken? So ein Rumkritteln kann man für Wiener Schmäh halten – oder eben als Teil eines nie endenden Diskurses ansehen: Ist das Kunst, oder kann das weg?
Mäzene, Bücher, Bibliotheken
Echtes Mäzenatentum jedenfalls sieht anders aus. Der römische Dichter Horaz hatte es gut. Er verfasste Lyrik und hatte einflussreiche Freunde, die ihn Maecenas vorstellten. Maecenas, Vater und Namensgeber aller Gönner des Kulturlebens, schenkte dem Dichter eine Villa, einen Landsitz in den Sabiner Bergen vor den Toren Roms. Dorthin, so die Idee, könne sich der Autor zum Schreiben zurückziehen. Aber das ländliche Idyll bleibt nur Zweitwohnsitz, es drängt den Dichter zurück in die laute, volle Stadt: »Ja, das ist meine Freude, meines Herzens Lust: Warum es leugnen«, seufzt er Rom entgegen.
Seit es Städte gibt, sorgen sich die Stadtoberen um das Wohl der Kunst und manchmal sogar der Künstler. Seien die Herrschenden nun Tyrannen, Monarchen oder Demokraten. Im klassischen Athen gehörte der Bau eines Amphitheaters so zwingend zur Stadt wie der Tempel für die Götter- und Mythenverehrung und die Agora für die politischen Versammlungen. Wer eine Stadt baute, sah sich gleich nach dem passenden Grundstück für das Theater, den Aufführungsort der Dionysien, um. In Athen bot praktischerweise der im Süden sanft abfallende Abhang unterhalb der Akropolis die perfekte Lösung. Theater war wichtig, sinnstiftend, diente nicht einfach der Zerstreuung, sondern der Bildung, war Nachrichtenübermittlung, Informationsveranstaltung und sinnliches Erleben zugleich. Die großen politischen, zumeist kriegerischen Ereignisse der Zeit, wurden schon kurz danach auf der Bühne gegeben, wie die Perser des Aischylos, uraufgeführt 472 v.Chr., das älteste erhaltene Drama der Welt. Es behandelt die historische Niederlage des persischen
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