Stadtmutanten (German Edition)
die einzige Erklärung. Frag mich bloß, was die solange gemacht haben.«
Ben zuckte mit den Achseln.
Enrico blieb erstaunlich cool angesichts der Hiobsbotschaft. Ob er uns glaubte oder nicht, er lachte uns weder aus noch bekam er Panik.
»OK, eigentlich wollte ich heute wieder zuhause schlafen, aber ich schlage vor, wir bleiben heute alle hier. Das Sofa ist super zum Pennen und der Teppich ist auch weich. Aber vorher spiele ich euch mein Zeug vor.«
Wir tranken also unser Bier und hörten Enricos Musik. Als Enrico ein zweites Tütchen herumgegeben hatte, konnte ich die Augen kaum offen halten. An meiner Schulter war Lila bereits eingeschlafen. Es war mir diesmal nicht unangenehm. Im Moment war ihre Nähe kein Versuch, sich mir sexuell zu nähern, sondern eher eine Suche nach Geborgenheit. Da ich Geborgenheit im Moment auch ganz gut gebrauchen konnte, ließ ich ihren Kopf, wo er war und machte die Augen zu.
6 NICHT GANZ LEERE STRASSEN
Am nächsten Morgen weckte Ben uns mit Kaffee, den Enrico gemacht hatte. Als Lila die Augen aufmachte, blieb sie kurz in ihrer Position. Dann nahm sie auf einmal ruckartig ihren Kopf weg, als sei sie bei etwas Verbotenem erwischt worden.
Ben sah fürchterlich aus. Augenringe, fahle Gesichtsfarbe, verquollene Augen.
»Glotz mich nicht so an, ich weiß wie ich aussehe.«
»Lange Nacht?«
»Alter, Enricos Gras ist der Hammer.«
Wir waren beide immer weiter in unsere Jugendsprache zurückgefallen. Es war, als hätte das höhere Register, das wir uns im Erwachsenenleben angewöhnt hatten, seine Funktion verloren, nachdem unsere Rollen in Beruf und Gesellschaft schlagartig irrelevant geworden waren. Wir fielen auf das letzte bedeutsame Level zurück und irgendwie war das auch angemessen. Die Art, in der wir nun miteinander sprachen, war viel mehr von unseren Instinkten gesteuert und weitaus ehrlicher. Und Ehrlichkeit war wichtig in unserer Situation. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich Lila immer noch etwas vormachte. Ich sollte das ändern.
Nach dem Kaffee besprachen wir das weitere Vorgehen. Lila schlug vor, sich eine Weile im Bunker zu verschanzen.
»Wir sind hier in Sicherheit. Es scheint sonst keiner hier zu sein und wir haben fließend Wasser und Toiletten. Was meint ihr?«
Enrico stand wortlos auf und öffnete den Kühlschrank. Der war bis auf eine Tüte Milch und etwas Bier leer. Er warf einen Blick in die Runde.
»Sorry, mit verschanzen wird nichts. Es sei denn, ihr habt auf dem Weg hierher noch eingekauft.«
Wir gingen schließlich zur Eingangstür des Bunkers und horchten. Das Hämmern hatte aufgehört. Die Tür hatte standgehalten. Enrico machte sich ohne großes Zögern daran, den Stuhl vom Türgriff zu lösen. Ben packte ihn am Arm.
»Was zum Teufel machst du?«
»Die Spinner sind längst weg.«
»Und wenn nicht?«
»Das hier ist die einzige Möglichkeit, das rauszufinden.«
Wir nahmen den Stuhl zur Seite und gingen in Stellung. Mein Herz schlug bis an die Decke in Erwartung eines erneuten Kampfes. Ben schwitzte wie ein Schwein. Lila war knallrot vor Anspannung. Auch Enrico zeigte Nerven. Er zitterte, als er den Schlüssel umdrehte. Vorsichtig öffnete er die Tür und schaute raus.
»Holy Shit! Nun guckt euch das an.«
Er schob die Tür ganz auf und wir alle sahen keine Totenmänner. Sie waren verschwunden. Blutflecken und Kleidungsfetzen zeugten von einem Kampf. Ich bemerkte einige Besonderheiten an der Außenwand des Bunkers, die gestern noch nicht da gewesen waren.
»Sieht aus wie Einschusslöcher. Das waren die Soldaten.«
Ben nickte. »Haben ganz schön aufgeräumt. Kommt, lasst uns zur Straße gehen und nachschauen.«
Wir gingen zur Straße und schauten nach links in Richtung Kreuzung Waller Heerstraße. Die Straßensperre war verschwunden. Die Soldaten hatten sich zurückgezogen. Wie weit, war nicht ersichtlich. Enrico lächelte zynisch.
»Sieht so aus, als wenn eure Soldaten auch was auf die Mütze gekriegt haben, oder?«
Ich war deprimiert. Ein Teil von mir hatte gehofft, dass der Stützpunkt bis hier ausgeweitet worden wäre und mit der Zeit das Problem behoben sein würde. Stattdessen war die Situation eskaliert. Die Soldaten hatten einen Etappensieg errungen, mehr nicht. Dafür mussten sie ihre Stellung aufgeben und zurückweichen. Das klang in der Tat nicht gerade nach »aufgeräumt«.
»Und nun?«
Enrico zuckte mit den Achseln.
»Ich geh nach Hause. Ich will sehen, ob meine Bude noch steht. Außerdem
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