Stadtmutanten (German Edition)
kommen.«
Unsere Wahl fiel auf das Walle Center gleich neben dem Bahnhof Walle. Dies war zwar riskant, da das Gebäude an die Polizeistation angrenzte. Also war hier Vorsicht geboten. Andererseits bot das Center mit der Vielzahl seiner Geschäfte alles, was wir brauchten: Lebensmittel, Kleidung, Medikamente, vielleicht sogar Waffen. Da ich mich am besten auskannte, beschlossen wir, dass ich jetzt gleich zum Walle Center spazieren und nach Schwachstellen suchen sollte.
Auf dem Weg hörte ich unten auf der Straße wieder die Musik, die ich auf dem Hinweg schon vernommen hatte:
Edvard Grieg. Morgenstimmung.
Als ich die Mitte der Straße erreicht hatte, schwoll die Musik an, als wolle sie mich begrüßen. Ich schaute in die Richtung, aus der die Musik kam. In einem Fenster im Erdgeschoss der gegenüberliegenden Häuserreihe stand eine Gestalt und winkte vorsichtig. Es war Peter Hiob. Ich winkte zurück, nickte ihm zu. Dann ging ich weiter. Peter hier zu sehen, rief gemischte Gefühle in mir hervor. Es tat gut, ihn zu sehen. Er war einer meiner wenigen echten Freunde in der Straße. Vielleicht der einzige. Peter hatte im Alter von 40 Jahren eine verheißungsvolle Karriere als Mediziner in den Wind geschossen, als seine Frau Trudi nach einem Badeunfall reanimiert werden musste und seitdem pflegebedürftig war. Nun war er Anfang 50 und wohnte mit ihr zusammen in einer bescheidenen Wohnung im Haus gegenüber. Er hatte seine berufliche Zukunft für sein privates Glück geopfert und dies nach eigenen Aussagen nie bereut. Ich bewunderte diesen Mann.
Die Straßen waren relativ ruhig. Ich hatte die Nebenstraßen für mich allein. Vor dem Walle Center prüfte ich zunächst, ob es wider Erwarten geöffnet war. Fehlanzeige. Hätte mich auch gewundert. Also schlenderte ich um das Gebäude herum und suchte nach Schwachstellen. Die Haupteingänge kamen natürlich nicht in Frage. Die Tiefgarage war vergittert und somit unpassierbar. Die Hintereingänge waren allesamt verriegelt. Ich kletterte sogar auf das Dach, um zu sehen, ob man durch die großen Dachfenster einsteigen könnte. Auch sie waren vergittert. Ich will nicht sagen, dass ein Einbruch unmöglich gewesen wäre, aber für Laien wie uns war das Ding eine Nummer zu groß.
Resigniert ging ich zurück.
Auf dem Rückweg schaute ich wieder zu Hiobs Wohnung. Sie lag ruhig und schien verlassen. Gut. Es war mir lieb, dass er kein Aufsehen erregte. Die Lage war zwar ruhig, aber wie lange würde es so bleiben? Zuhause saßen Ben und Lila mit Marty beim Kaffee. Marty sah deutlich besser aus, hatte geduscht und war einigermaßen klar. Ich erzählte von der Durchkreuzung unseres Plans:
»Das Walle Center können wir knicken. Da kommen wir nie rein.«
Ratlose Gesichter. Dann tippte Ben mir auf die Schulter.
»Dann lass uns improvisieren. Waffen basteln und so.«
Ich dachte kurz nach, nickte dann.
»OK, das müssten wir hinkriegen, ich schau gleich mal im Keller nach, ob ich Sachen finden kann, die man zu einer Waffe umdengeln kann. Und Lebensmittel?«
Nun meldete sich Marty zu Wort.
»Hey, es gibt doch extrem viele Kioske und Trinkhallen hier. Lasst uns doch mal gucken, ob einer aufhat.«
Lila verdrehte die Augen. »Jaja, die haben natürlich alle ihre Tür sperrangelweit offen, damit ja alle Totenmänner der Stadt reinspazieren können!«
»Wir können es ja wenigstens versuchen! Zur Not müssen wir halt klingeln.«
Lila lachte ihn aus. »Klingeln! Was Besseres fällt deinem verkifften Gehirn nicht ein, oder? Pah!«
Ich machte eine mentale Notiz, dass Lila nicht nur angenehme Charaktereigenschaften hatte. Sie konnte genau genommen ganz schön giftig sein. Darüber hinaus fand ich Martys Einfall gar nicht so schlecht.
»Hey, beruhigt euch. Wir können es ja mal versuchen. Manchmal wohnen die Besitzer ja in ihren Geschäften, oder zumindest dahinter. Vielleicht ist einer noch zuhause und hat Lust, ein kleines Geschäft zu machen.«
»Vielleicht wollen die aber auch ihr Zeug für sich selbst bunkern«,warf Ben ein.
»Stimmt, aber ich finde, wir sollten es versuchen. Ist auf jeden Fall besser, als hier zu sitzen und uns die Köpfe einzuschlagen.«
Ein Blick in die Runde verriet mir, dass ich gewonnen hatte. Marty strahlte angesichts seines Etappensieges über das ganze Gesicht, Lila zuckte mit den Schultern, Ben nickte mir zu. Na super. Nun verhielt ich mich schon wie ihr Anführer. Und es begann mir zu gefallen. Ich musste aufpassen, dass ich nicht alles versaute.
Die
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