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Stadtmutanten (German Edition)

Stadtmutanten (German Edition)

Titel: Stadtmutanten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Strahl
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darauf folgende Stunde über waren wir sehr produktiv und kreativ. Ich hatte im Keller einige nützliche Dinge gefunden, die ich aus irgendwelchen Gründen nie weggeworfen hatte, obwohl sie genau genommen auf den Müll gehörten: Eine schwere Eisenstange von etwa einem Meter Länge; ein großes Stück von einem Starkstromkabel, einen kleinen massiven Holztisch mit schweren Tischbeinen, etwas Isolierband, einen Meter Lederband. Nach 60 Minuten wurden daraus zwei schwere Holzknüppel, ein noch schwererer Metallknüppel und ein schwerer Gummiknüppel. Alle an einem Ende mit einem Griff aus Isolierband versehen. Zusätzlich hatten wir in jeden Griff ein kleines Loch gebohrt, durch das wir eine Schlinge aus Lederband zogen.
    Kurze Zeit später waren wir ausgehfertig: Lila hatte sich für den Gummiknüppel entschieden, den sie für am einfachsten zu führen hielt. Außerdem sah er sehr eindrucksvoll in ihrer zarten Hand aus. Marty und Ben führten jeweils einen Holzknüppel. Der Metallklopfer war quasi als Insignie des Anführers mir überlassen. Er war schwer, verdammt schwer. Die Vor- und Nachteile einer solchen Waffe liegen auf der Hand: Das Ding ist aufgrund seines Gewichtes eine sehr langsame Waffe. Es ist schwer damit zu treffen und noch schwieriger, einen Hieb abzuwehren. Trifft man aber ins Schwarze, bekommt jeder Gegner ernsthafte Probleme. Da die Waffe mich angreifbar machen würde, holte ich meine gute alte Ramones-Lederjacke aus dem Schrank, die ich seit 10 Jahren nicht getragen hatte.
    Vor der Tür fragte ich die Gang, wo wir es zuerst versuchen wollten. Marty deutete in Richtung Steffensweg.
    »Lasst es uns erst bei Murat versuchen.«
    Ich hatte keine Ahnung, wer Murat war. Marty schaute mich an, als käme ich vom anderen Stern.
    »Mann, wie lange wohnst du noch mal hier? Murats Kiosk liegt schon ein halbes Jahr um die Ecke im Steffensweg.«
    »Ach ja, bei dem hab ich mal ziemlich spät Kippen geholt. Der hat sehr lang auf, oder?«
    »Immer. Rund um die Uhr. Wenn er nicht da ist, vertritt ihn jemand aus der Familie.«
    Auf dem Weg erzählte Marty uns mehr von Murat. Murat war 21 Jahre alt und hatte nach dem Abi studieren wollen. Dann hatte seine Familie sich diese Ladenwohnung gekauft, in der sein Onkel einen Kiosk führen wollte. Leider verunglückte dieser Onkel bei einem Autounfall und der Laden war bereits gekauft, Schulden bereits gemacht worden. Also fiel die Zuständigkeit in die Hände des einzigen volljährigen Familienmitglieds, das zeitlich flexibel war: Murat. Murat schrieb sich an der Uni ein, ging aber nie hin, weil er immer arbeitete oder schlief. Marty triumphierte:
    »Und jetzt kommt’s: Er sitzt den ganzen Tag im Hinterzimmer und kifft, wenn keine Kunden da sind. Und macht nebenbei eine Menge Kohle. Vertickt Gras und so. Ich sag euch, Murat ist cool. Und der arbeitet immer.«
    Ich war mir nicht sicher, ob Marty Murat in ein paar Jahren noch für cool halten würde, konnte aber nachvollziehen, was er an ihm bewunderte: Hier war jemand, der Geld verdiente, ohne ganz ins spießige Erwachsenenleben abzutauchen. Jemand, der irgendwie einer von ihnen geblieben war. Das war für einen 16jährigen eine beruhigende Aussicht.
    Murats Kiosk sendete von außen widersprüchliche Signale aus. Einerseits waren die Lamellen der Jalousie geöffnet, was einen geöffneten Laden implizierte, andererseits brannte kein Licht. Es war auch niemand im Laden zu sehen. Ich suchte nach einer Klingel, fand aber keine.
    »Hier gibt’s keine Klingel«, warf Marty ein und klopfte laut an die Scheibe.
    Nichts. Wohl niemand zuhause.
    Mehr aus Verzweiflung denn aus Überzeugung prüfte ich die Tür und fand sie nur angelehnt vor. Etwas blockierte sie von innen. Ein Blick hinein verriet mir, dass ein Hocker halbherzig vor die Tür geschoben worden war. Wir traten ein. Marty rief: »Murat? Alles klar? Ich bin’s, Marty!«
    Keine Antwort.
    »Vielleicht ist Murat nicht da«, wandte Lila ein.
    »Aber warum hat er dann nicht abgeschlossen? Ich sehe im Hinterzimmer nach.«
    Als Marty sich Murats Namen rufend auf den Weg hinter den Tresen und ins Hinterzimmer machte, tippte Lila mich an die Schulter.
    »Marek, guck dir den Boden an!«
    Ich schaute nach unten und sah eine Blutspur, die von der Tür bis zum Hinterzimmer führte. Auch an der Tür und am Hocker war Blut. Ich rief: »Marty, warte!« Doch Marty war schon im Hinterzimmer. Wir stürmten hinterher, unsere Waffen im Anschlag. Im Hinterzimmer brannte kein Licht. Es dauerte

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