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Stahlhexen

Stahlhexen

Titel: Stahlhexen Kostenlos Bücher Online Lesen
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denken oder was die Leute über uns in der Stadt reden. Ich mag es, wie ich aussehe.
    Dort musste Matty sich hinstellen. Das Schilf, durch das die Schneise führte, raschelte im Wind, wie das eben so klingt, ein Gemurre und Gemurmel. Matty wehrte sich nicht mehr, weinte aber immer noch und bat sie, es nicht zu tun. Der Hexenjäger las einen Text vor, lauter Worte, die sie nicht verstand, über seine Autorität und die Art, wie er seine Prozesse führte. Als er fertig war, fragte er, ob sie irgendwelche Fragen habe. Sie sagt: Warum tut Ihr uns das an?
    Er trat ganz dicht an sie heran. Er war bleich im Ver-
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gleich zu ihr, die sonnenverbrannt war von der Arbeit auf dem Feld. Auf seinem Scheitel standen Schweißperlen. Er strich ihr über die Wange. Sie schloss die Augen und betete lautlos. Er sagte:
    »Matty, das hier ist zu deinem eigenen Besten, meine Gute. Wenn du keine Hexe bist, musst du es uns beweisen. Du brauchst keine Angst zu haben. Eine Hexe treibt oben, weil das Wasser keine Hexe in sich aufnehmen kann. Solltest du untergehen, musst du nur einen Moment lang leiden, und dann holen dich meine Männer heraus und du bist frei. Matty, verstehst du?«
    Sie antwortete nicht und betete flüsternd. Sie spürte, wie die Männer ihr nun auch noch die Füße zusammenbanden, genau wie vorher schon die Hände. Einer der Männer warf sie zu Boden, und sie fiel auf das Schilf und versuchte, sich zusammenzurollen. Sie spürte, wie sie mit den Händen unter ihr Hemd fuhren und ihr über die Haut strichen. Wie sie sie so berührten, wie Männer einen berühren, hat Granny gesagt, wenn man sie lässt. Dann hoben sie sie hoch, ein Mann an den Armen und der andere an den Beinen. Das Letzte, was sie sieht, sind die Augen des Hexenjägers.
    Granny hat gesagt, die alte Tongrube war schrecklich tief und das Wasser schrecklich kalt. Matty ging unter wie ein Stein. Ein einziger Schrei und nicht einmal Blasen. Granny hat gesagt, der Hexenjäger und seine Männer sind dann langsam über die Felder zurückgekommen. Die Männer gingen zu ihren Bierfässchen und kippten tüchtig einen. Der Hexenjäger ging in sein Zelt und nahm seine Liste zur Hand. Er strich Matty aus - der zweite durchgestrichene Name.
    Daisy Seagers Haus lag ideal: Zu Fuß waren es weniger als fünf Minuten zum Felwell College, wo sie studierte. Vermutlich hatte sie den Golf nur für die Fahrt zu ihrem nacht-
     

liehen Job im Hunters Club gebraucht. Fletcher parkte in ihrer Straße und ging von dort aus ebenfalls zu Fuß. Auf halbem Wege war schon in einiger Entfernung das College zu sehen: Ein verschachtelter, weitläufiger Bau aus den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts, dessen Giebel die Alleebäume in der Vorstadt überragten.
    Felwell, was wusste er eigentlich darüber? Der Ort, an dem irgendwann Mitte der dreißiger Jahre die erste Atomspaltung der Weltgeschichte gelungen war - so viel wusste jeder. Die beteiligten Wissenschaftler hatten den Nobelpreis bekommen und ihre Kenntnisse später in das Manhattan-Projekt eingebracht, das 1945 in den Bau der amerikanischen Atombombe mündete. Das ursprüngliche Labor war inzwischen geschlossen - in Cambridge kursierte die Geschichte, dass das Kellergeschoss, in dem die Experimente stattgefunden hatten, mit Beton ausgegossen und mit Blei versiegelt wurde. In den siebziger Jahren hatte man hinter dem alten College ein neues Physiklabor gebaut - einen langen, zweckmäßigen weißen Block, der sich beim Näherkommen allmählich zwischen den Hecken abzeichnete.
    Das Gebäude lag unmittelbar hinter Newnham an einer Stelle, wo der Fluss sich stark verjüngte und sich kleine pfeilartige Stromschnellen im Wasser abzeichneten. Ein kalter Wind trieb Eiskristalle über den heute asphaltierten ehemaligen Treidelpfad, und Fletcher zog den Parkareißverschluss bis zum Kinn hoch. An dem großen, schmiedeeisernen Flügeltor des Colleges - das Fletcher als das aus den morgendlichen Fernsehnachrichten wiedererkannte, vor dem die Rektorin ihre Sorgen geäußert hatte - schlug ein Wache stehender Polizeibeamter mit einer Skimaske über dem Gesicht die eiskalten Hände gegeneinander. Hinter ihm hing ein laminierter Aushang:
    Haben Sie diese Person gesehen?
    Dazu ein Bild von Daisy Seager - es war wohl dasselbe Schulballfoto, das er schon von der Pinnwand in ihrem
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Schlafzimmer kannte. Ein Pressefotograf machte gerade eine Aufnahme des Ganzen.
    Dahinter war ein recht malerisches Pförtnerhäuschen zu erkennen, ein gepflasterter

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