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Stahlhexen

Stahlhexen

Titel: Stahlhexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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gezogen hatte, und von dort kamen zwei Personen auf die Kamera zu. Der Film hielt diese Szene ein paar Sekunden lang fest, dann ging der Kameramann langsam auf die Besucher zu. Die anderen Soldaten hatten sich ebenfalls zum Rand des Weizenfeldes in Bewegung gesetzt, einige überholten die Kamera sogar. Der Kameramann näherte sich ihnen von hinten und sie machten ihm Platz. Er richtete den Fokus auf die beiden Ankömmlinge, und nun füllten diese den Bildschirm aus.
    »Mein Gott.« Mia beugte sich vor. »Was ist denn das?«
    Es waren zwei Frauen. Beide jung, um die zwanzig, beide ungewöhnlich groß, sogar größer als einige der Amerikaner. Die eine trug ein hübsches, blau-weißes Kleid mit kurzen Ärmeln, die andere einen geflickten Overall. Es warendrahtige Frauen - nicht vollbusig und kurvenreich wie die klassischen Nose-Art-Mädchen sie wirkten ungewöhnlich kräftig. Die Frau im Kleid hatte lange, muskulöse Arme. Doch da war etwas mit diesen Armen: Die Haut war voller dunkler Flecken, sie war überzogen von dunklen Sommersprossen und Muttermalen. Die Frau im Overall hatte kräftige Hände, die sie jetzt in die Hüften stemmte. Und auch ihre Hände waren mit dunklen Hautflecken bedeckt.
    Jetzt nahmen die Gesichter der beiden die ganze Bildfläche ein.
    Und dort, in Tim Redshaws kleinem Büro, sah Fletcher die eindrucksvollsten Gesichter, die ihm je begegnet waren. Beide junge Frauen hatten ein ausgeprägtes Kinn, schmale Lippen, kräftige Nasen und hohe Wangenknochen. Ihre Haut war blass und mit schwarzen Flecken übersät, die sich von der Stirn bis zum Hals zogen. Auch ihr Haar war rabenschwarz - aber nicht, wie damals üblich, in steife Locken gelegt. Es fiel einfach zu beiden Seiten des Gesichts lang und glatt bis über die Schultern herab. Am verblüffendsten aber - und ganz offensichtlich war auch der Kameramann fasziniert davon - waren ihre Augen. Es waren riesige Augen, deren Weiß im Sonnenlicht cremefarben wirkte, während die Iris um die schwarze Pupille orangerot leuchtete - so wie man es manchmal bei Albinos sieht.
    Dann kam es zu einem Gedränge. Einige Soldaten traten ins Bild und scharten sich um die Frauen. Der Schatten des Kameramanns zeichnete sich unübersehbar auf dem Boden ab: eine lange, männliche Gestalt mit abgewinkelten Ellbogen. Ein paar Sekunden lang geschah gar nichts. Dann blickte die Frau im Overall direkt in die Linse. Ihr Gesicht veränderte sich ein wenig und sie hob das Kinn. Sie sagte etwas, nur ein paar Worte. Einer der Soldaten neben ihr runzelte verwundert die Stirn. Seine Lippen bewegten sich. Fletcher kam es so vor, als hätte er ein »Was?« mit den Lippen geformt.
    Dann wurde der Bildschirm schwarz.
    Fletcher wechselte einen Blick mit Mia und beide sahen Tim Redshaw an.
    Redshaw drehte das Notebook wieder zu sich und klappte den Deckel zu, der mit einem lauten Klicken einrastete.
    »Geht der Film noch weiter?«, fragte Fletcher.
    »Nein. Das ist alles.«
    »Wo ist der Rest?«
    »Es gibt keinen Rest. Mehr haben wir nicht.«
    Fletcher schaute auf das zugeklappte Notebook. »Was ist da eigentlich passiert, was war das?«
    Tim zuckte die Schultern. »So was kam um die Zeit damals wohl öfter vor. Leute vom Land, die in einsamen Dörfern oder Weilern wohnen, haben plötzlich einen Luftwaffenstützpunkt vor ihrer Haustür, sind neugierig und gehen hin, um guten Tag zu sagen. In diesem Fall waren die amerikanischen Jungs aber wohl genauso fasziniert. Die dachten wohl: Nanu, sehen so etwa die Engländer aus?«
    »Die Frage ist«, meinte Mia, »welche Sprache sie da eigentlich gesprochen haben. Der Soldat konnte die Frau nicht verstehen.«
    »Ein ländlicher Dialekt, und das vor fünfundsechzig Jahren. Den würde ich wahrscheinlich auch nicht verstehen.« Redshaw schaute auf die Uhr. »Zeit, den Laden zuzumachen. Ich bin hier vermutlich schon der Letzte.«
    »Ich brauche eine Kopie des Films«, sagte Fletcher.
    Tim Redshaw nahm die DVD aus dem Laufwerk und legte sie an ihren Platz zurück. Dann schüttelte er den Kopf. »So war das nicht ausgemacht. Wir hatten gesagt, Sie sehen sich den Film an und verschwinden.«
    »Ich muss eine Kopie machen.«
    Tim Redshaw schloss umständlich und entschlossen die Schreibtischschublade ab und fuhr sich dann noch einmal energisch durchs Haar. »Ich lass mich nicht unbegrenzt herumschubsen.«
    Mia hob die Hand. »Ich würde mich gern einen Moment lang allein mit Mr Redshaw unterhalten.«
    Tim blickte finster. »Es gibt nichts mehr zu sagen.

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