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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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winzigen, mißgestalteten Pfeife saugen, die ihn einem Greis ähnlich macht, obgleich er erst achtzehn Jahre alt ist.
    Er erzählt nichts von sich. Ich weiß nur, daß er weder Vater noch Mutter hat. Irgendwo hat er eine verheiratete Schwester, die er kaum kennt. Er hat vor Gericht gestanden; weshalb, sagt er nicht, hat im Gefängnis gesessen, ist vorzeitig entlassen worden. Ist dann als Freiwilliger in den Krieg gezogen. Sein Name ist eigentlich Wólegow, mit der Betonung auf »o«, aber alle rufen ihn Waléga. Das ist alles, was ich von ihm weiß.
    Wir sprechen selten miteinander, er ist nicht redselig. Nur ein einziges Mal hat er sich mir ein wenig anvertraut. Das war vor drei Monaten, im Frühling. Wir waren verdammt durchgeweicht und müde und trockneten uns am Lagerfeuer. Ich wrang die Fußlappen aus, und er kochte in einer Konservenbüchse einen Hirsebrei. Wir hatten schon zwei Wochen lang nichts als Hirsebrei gegessen und konnten ihn nicht mehr sehen. Ringsherum war alles dunkel und kalt. Die durchnäßte Zeltbahn war steif und wärmte überhaupt nicht. Wir waren zu zweit.
    Mit der Pfeife im Mund, beleuchtet von den roten Flammen des Lagerfeuers, ähnelte er einem Zwerge, der eine Zaubersuppe braut.
    »Wenn der Krieg zu Ende ist«, sagte er, »werde ich nach Hause fahren und mir ein Haus im Walde bauen, ein Blockhaus. Ich liebe den Wald. Sie werden dann zu mir kommen und bei mir drei Wochen verleben. Wir werden gemeinsam auf Jagd und Fischfang gehen.«
    Ich lächelte.
    »Warum gerade drei Wochen?«
    »Wieviel denn?« Er war verwundert, aber sein Gesicht veränderte sich nicht um eine Spur, er sog an seiner Pfeife und rührte gleichmäßig den Brei um. »Sie werden nicht länger bleiben können. Sie werden doch Ihre Arbeit haben. Für drei Wochen aber werden Sie kommen. Ich kenne Stellen, wo es Bären und Elche gibt und auch Hechte bis zu fünfzehn Pfund Gewicht. Wir haben schöne Wälder im Altaigebirge. Nicht solche wie hier. Nun, Sie werden selbst sehen.« Er nahm den Löffel heraus und leckte ihn ab. »Ich werde Sie mit Pelmeni 1 bewirten. Ich kann Pelmeni auf eine besondere Art machen, auf unsere Art.«
    Damit endete das Gespräch.
    Jetzt schaue ich ihn an und frage: »Nun, Walega, wann werden wir deine Pelmeni kosten?«
    Er lächelt nicht einmal.
    »Solches Fleisch gibt es hier nicht, und richtig zubereiten kann man es hier auch nicht.«
    »Also muß man bis Kriegsende warten?«
    Er antwortet nicht, sondern marschiert weiter. Die Stiefel sind ihm viel zu groß, die Spitzen biegen sich nach oben, die Feldmütze ist zu klein und sitzt nur auf dem Scheitel. Ich weiß, daß in ihr drei Nähnadeln stecken: mit weißem, schwarzem und feldgrauem Garn.
    Gegen sieben Uhr machen wir Rast. Auf der Karte ist das
    Dorf als »Werchnaja Duwanka« bezeichnet, aber hier nennt man es Werschilowka. Von Petropawlowka ist es zweiundzwanzig Kilometer entfernt, also haben wir an dreißig Kilometer zurückgelegt. Das ist nicht schlecht, denn der Weg ist beschwerlich.
    Die Soldaten sind müde, weil sie das Marschieren nicht gewohnt sind. Die Rucksäcke abgeworfen, liegen sie im Schatten der Obstgärten mit angezogenen Beinen. Die Gewandteren von ihnen holen sich Milch in ihren Eßgeschirren. Walega hat irgendwo ein Weißbrot ergattert und Honig in Scheiben.
    Ich esse und lobe Walegas Kunst, obgleich ich gar keinen Appetit habe; ich will Walega nicht kränken.
    Die Füße schmerzen. Die linke Hacke ist ein wenig aufgerieben. Überhaupt steht es mit den Stiefeln schlecht, sie fallen förmlich auseinander. Leider habe ich die zugesagten Segeltuchstiefel nicht erhalten. Ich muß meine tatsächlich mit Draht umwickeln. Es wäre gut gewesen, hätte ich auf Walega gehört und einen Tag Schuhe getragen, dann wären die Stiefel repariert worden. Weiß der Teufel, wann wir auf unser Bekleidungslager stoßen. Das Regiment ist schon weit weg, etwa siebzig bis achtzig Kilometer. Wenn sie diese zwei Tage durchmarschiert sind, dann hat sich die Entfernung auf keinen Fall verringert. Möglicherweise haben sie auch irgendwo eine Verteidigungsstellung bezogen oder sich durch die deutschen Linien durchgeschlagen. Die hiesige Bevölkerung sagt: »Am Sonntagmorgen zogen Soldaten durchs Dorf und abends Kanonen.« Wahrscheinlich unsere Divisionsgeschütze. »Nur eine Stunde haben sie hier gerastet und sind dann weitergezogen, müde und traurig.«
    Wo ist die Front? Vorne, hinten, rechts, links? Existiert sie überhaupt noch? Auf der Karte wird sie

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