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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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kleine Villen mit staubigen Fenstern. Hundertjährige Ulmen im Schloßgarten. Blätter rascheln unter den Füßen. Dann halt – der Abhang. Weiter – der Dnjepr, blaue Weite und ein gigantischer Himmel, der flache Podol mit den hochragenden Schornsteinen und die schlanke Silhouette der Andrej-Kirche, die förmlich über dem Abhang hängt, das Plätschern der Dampferräder und das Klingeln der Straßenbahnen aus Darniza.
    Liebes, liebes Kiew!
    Wie weit liegt das alles zurück. Wie lange ist das alles her, mein Gott, wie lange … Auch das Institut, es war einmal … Zeichenzimmer und Reißbretter; schlaflose, ach, so kurze Nächte zwei Tage vor der Prüfung, die Festigkeitslehre, allerlei Theorien der Architekturkomposition und noch zwanzig andere Fächer dazu, die ich schon vergessen habe.
    Wir waren sechs unzertrennliche Freunde. Anatolij Sergejew, Rudenskij, Wergun, Ljussja Strishewa und der lustige kleine Schurka Grabowskij, den man aus irgendwelchen Gründen »Zeisig« nannte. Wir lernten gemeinsam und fuhren auch gemeinsam ins Grüne. Gemeinsam beteiligten wir uns an allen Preisausschreiben. Nach Absolvierung des Instituts gingen wir in ein Atelier. Hatten gerade erst zu arbeiten begonnen, hatten uns neue Reißschienen und Reißzeuge besorgt, da …
    Den »Zeisig« hat es bei Kiew, in Golossejew erwischt, darüber schrieb mir die Mutter noch. Er lag bei ihr im Hospital, hatte beide Beine verloren. Von den anderen weiß ich nichts Genaues. Wergun soll in einen Kessel geraten sein. Rudenskij ist wegen seiner Kurzsichtigkeit nicht eingezogen und wahrscheinlich evakuiert worden. Er begleitete mich noch zum Bahnhof. Anatolij soll Funker sein; jemand hat es erzählt, ich weiß nicht mehr, wer.
    Und Ljussja? Vielleicht ist sie doch evakuiert worden? Schwerlich … Ihre Mutter war krank und alt. Ich habe an ihre Tante in Moskau geschrieben, aber die weiß nichts. Vor zwei Jahren – ich weiß es noch, als wäre es heute gewesen –, am fünften Juni, dem Geburtstag Ljusjas, waren wir mit ihr zusammen am Dnjepr. Wir mieteten ein leichtes Ruderboot mit beweglichen Sitzen und ruderten weit, weit hinaus, bis hinter Natalka, bis hinter die Militärbrücke. Dort war unser Lieblingsplätzchen, ein kleines entzückendes Stück Strand, verborgen in Schilf und Bruchweidengebüsch. Diesen Platz kannte niemand, und dort war auch niemals jemand. Das Wasser war durchsichtig wie Glas, und vom hohen Ufer konnte man gut mit Anlauf springen. Dann saßen wir müde im Schloßpark, mit frischen Schwielen an den Händen vom langen Rudern, und hörten die Fünfte Sinfonie von Tschaikowskij. Wir saßen auf einer Bank, abseits, und neben uns waren grelle rote Blumen. Auch der Dirigent hatte eine Blume im Knopfloch …
    »Sollen wir noch eine dritte Reihe legen?« fragt jemand dicht an meinem Ohr.
    Ich zucke zusammen.
    Walega, mein Melder, hockt vor mir und blickt mich mit seinen kleinen Augen fragend an, die wie bei einer Katze glänzen.
    »Eine dritte Reihe … Nein, eine dritte Reihe werden wir nicht legen. Geht zum vierten Abschnitt, an der Anlegestelle!«
    Wir schleppen die übriggebliebenen Minen zur Anlegestelle hinüber und fangen an, das Ufer zu minieren. Etwa vier zig Stück sind noch da.
    4
    Am Morgen kreist lange eine Messerschmitt über unseren Stellungen. Wir eröffnen kein Feuer: sparen Munition. Zwei Schwärme Heinkel und ein Schwarm Ju 88 fliegen in großer Höhe nach Nordost.
    Gegen sieben Uhr abends kommt ein junger Leutnant, eine neue Mütze mit rotem Rand auf dem Kopf, in unseren Gefechtsstand – er ist von unserem rechten Nachbarn, dem dritten Bataillon des 852. Regiments. Er fragt, wie es bei uns steht und was wir zu tun beabsichtigen. Bei ihnen ist ebenfalls alles ruhig. Sechzig Mann. Fünf Maschinengewehre. Dafür keine Granatwerfer. Er bekommt Mittagessen, dann schicken wir ihn zurück.
    Bei Anbruch der Dunkelheit beginnen wir zusammenzupacken. Zwei Fahrzeuge werden beladen, das dritte lassen wir zurück. Der einäugige Pilipenko, Schirjajews Oberfeldwebel, kann sich nicht von seinen Vorräten trennen – alten Stiefeln, Sätteln und Säcken mit Lumpen. Er verstaut sie an allen Seiten des Wagens. Schirjajew wirft die Säcke wieder hinunter. Pilipenko sieht mit gleichgültigem Gesicht zu, kaut an einer selbstgedrehten »Ziegenbein«-Zigarette; sobald aber Schirjajew weggegangen ist, stopft er die Säcke sorgfältig wieder unter die Munitionskästen.
    »Solche Stiefel wegwerfen! Das ist eine Sünde. Vielleicht ist es

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