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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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gewöhnlich durch eine fette rote Linie bezeichnet und der Gegner durch eine blaue. Gestern war die blaue Linie jenseits des Oskol. Und jetzt?
    Bis zum Morgen haben die Deutschen wahrscheinlich nichts unternommen. Spähtrupps haben sie gewiß nicht vor zwei Uhr morgens geschickt, erst als sie gemerkt hatten, daß wir schweigen. Gegen drei oder vier Uhr mögen sie angefangen haben, Infanterie überzusetzen – vielleicht sogar noch später. Appell, Befehle und ähnliches – so gegen fünf Uhr. Jetzt ist es acht Uhr, fünf vor acht. Motorisierte Spähtrupps hätten uns natürlich schon eingeholt. Die haben die Deutschen aber anscheinend nicht. Infanterie jedoch wird uns nicht einholen können. Panzer und Autos werden nicht vor dem Abend, vielleicht auch erst am kommenden Morgen übergesetzt werden. Alles hängt davon ab, ob sie einen Pontonpark haben.
    Warum hört man kein Schießen? Vorgestern noch war Kanonendonner vom Norden her vernehmbar, dann wurde er leiser und verschob sich nach Nordost. Jetzt ist überhaupt nichts zu hören. Stille.
    Die Soldaten drängen sich um den Kessel mit Brei. Wie immer nörgeln sie, daß zuwenig ausgeteilt wird. Sie schütteln die Apfelbäume. Ich stehe auf und gehe zu Schirjajew hin. Er sitzt und putzt den Revolver, daneben trocknen die Fußlappen.
    »Wollen wir weitermarschieren?«
    Mit zusammengekniffenem Auge hält Schirjajew den Revolverlauf gegen das Licht und blickt prüfend hindurch.
    »Sobald die Soldaten gegessen haben, setzen wir uns in Marsch. In zwanzig Minuten, nicht später.«
    »Wie weit ist es noch bis Nowo-Belenkaja?«
    »Etwa sechzig bis siebzig Kilometer. Hier ist die Karte.«
    Ich messe auf der Karte nach, es kommen fünfundsechzig Kilometer heraus.
    »Zwei Tagemärsche noch.«
    »Wenn wir uns anstrengen, werden wir es bis morgen mittag schaffen.«
    »Wir werden schon hinkommen, aber ob wir jemanden antreffen werden? Ich fürchte, nicht den, den wir wollen. Mir gefällt diese Stille nicht.«
    Der Adjutant, Leutnant Sawrassow, kommt herbei, er ist ganz rostbraun vor Sommersprossen. Er sieht besorgt aus. Er setzt sich zu uns und raucht.
    »Zwei von den Leuten fehlen schon.«
    Schirjajew legt den Revolver auf die Fußlappen und wendet sich Sawrassow zu.
    »Was heißt fehlen?«
    »Sidorenko aus der ersten Kompanie und Kwast aus der zweiten. Am Abend waren sie noch da.«
    »Wo sind sie denn geblieben?«
    Sawrassow zuckt die Schultern.
    »Vielleicht haben sie sich die Füße wundgelaufen?«
    »Ich bezweifle es.«
    »Rufe die Kompanieführer zusammen.«
    Schirjajew setzt schnell seinen Revolver zusammen und legt die Fußlappen um. Die Kompanieführer kommen herbei.
    Es stellt sich heraus, daß Sidorenko und Kwast aus demselben Dorfe stammen. Aus irgendeinem Dwuretschnaja. Zu einem von ihnen kam sogar die Frau, als wir in Verteidigung lagen. Sie haben stets zusammengehalten, obgleich sie in verschiedenen Kompanien waren. An ihrem Verhalten war früher nichts auszusetzen. Schirjajew hört schweigend zu, die Lippen zusammengepreßt. Er blickt zur Seite; ohne die Kompanieführer anzusehen, spricht er langsam, beinahe ausdruckslos:
    »Wenn noch ein Mann verlorengeht, mache ich von dieser Pistole Gebrauch.« Er klopft auf seine Revolvertasche. »Verstanden?«
    Die Kompanieführer antworten nicht, stehen still und blicken zur Erde, einem von ihnen zittert das Augenlid.
    »Diese beiden sind nicht mehr aufzufinden. Sind zu Hause, diese Helden. Haben ausgekämpft …« Er schimpft und steht auf. »Fertigmachen zum Marsch!«
    Seine Augen sind schmal und stechend. Ich habe ihn niemals so gesehen. Er zieht die Feldbluse zurecht, schiebt die Falten von vorn nach hinten, alles mit schroffen, ruckartigen Bewegungen.
    »Die Ratten verlassen das Schiff! Sie flüchten, diese Schufte.«
    Er sichert die Pistole und steckt sie in die Tasche.
    Die Soldaten stellen sich auf der Straße auf, wickeln ihre Gamaschen fest, manche halten mit Milch gefüllte Eßgeschirre in den Händen. An den Türen stehen Frauen, schweigend, mit herabhängenden schweren, rauen Händen. An jedem Haus stehen sie und sehen zu, wie wir vorbeiziehen. Auch die Kinder gucken zu. Niemand läuft uns nach. Alle stehen nur und schauen.
    Nur ein Großmütterchen, ganz am Ende des Dorfes, läuft auf uns zu mit kleinen Greisenschritten, das Gesicht voll von Runzeln wie ein Spinnennetz. Sie hält in den Händen ein braunes Töpfchen mit Roggenbrei. Einer der Soldaten reicht ihr das Eßgeschirr. »Danke, Oma.« Die Oma bekreuzigt

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