Stalingrad
alles ganz plötzlich abgespielt hat. Sie sind in ein Dorf marschiert und haben dort gelagert. Igor war beim dritten Bataillon. Das zweite Bataillon war vornweg, etwa fünf Kilometer entfernt. Man hatte angefangen, das Mittagessen zu kochen. Verwundete Soldaten, die durch das Dorf kamen, sagten, die Deutschen seien weit von hier, ungefähr vierzig Kilometer, sie seien aufgehalten worden.
Auf einmal erschienen aus dem Dorf, wo das zweite Bataillon lagerte, Panzer. Zehn bis zwölf Stück. Niemand begriff etwas. Es kam zu einer Schießerei, zu einem Durcheinander. Irgendwo tauchten deutsche Maschinenpistolenschützen auf. Bei der Schießerei sind der Major und der Kommissar gefallen. Drei Panzer wurden außer Gefecht gesetzt, die MP-Schützen aus dem Dorfe verjagt. Dann wurde Ringverteidigung bezogen. Und da hatte Maximow Igor zu uns geschickt. Als er zum Dorf hinausritt, gingen die Deutschen gerade zum Angriff über, etwa zwanzig Panzer und motorisierte Infanterie, an fünfzig Wagen. Unterwegs wurde Igor beschossen, das Pferd verwundet. Woher er den Riß auf der Wange hat, weiß er selber nicht, gespürt hat er nichts. Wir überqueren einen Panzergraben. In riesigen Zickzacklinien zieht er sich durchs Feld und verliert sich irgendwo am Horizont. Die Erde ist noch frisch, es ist deutlich zu sehen, daß erst unlängst daran gearbeitet wurde. Die Laufgräben sind sauber, ordentlich, genau nach Vorschrift ausgebaut, sorgsam mit Gras getarnt. Das Gras ist noch nicht vertrocknet, noch ganz grün.
Dies alles bleibt nun zurück, gewaltig, nutzlos, von niemandem gebraucht.
So marschieren wir den ganzen Tag. Manchmal rasten wir ein Weilchen im Schatten einer Eiche, dann geht es weiter – einen grauen, trockenen Weg entlang. Die Luft zittert vor Hitze. Wir sind von Staub bedeckt. Fährt man mit der Hand über die Stirn, so ist die Hand schwarz. Der Körper juckt vom Schweiß, die Feldblusen der Soldaten sowie die Fußlappen sind durchgeschwitzt. Man mag nicht einmal mehr rauchen. Laut zirpen die Heimchen.
In einem Dorf sagen uns die Frauen, daß Deutsche vor einer Stunde durchgefahren seien, etwa zwanzig Autos, und am Abend eine unübersehbare Anzahl von Kradfahrern, alles auf den Wald zu.
Die Lage wird kompliziert. Wir sind gezwungen, uns von den Wagen zu trennen. Wir nehmen die Maschinengewehre herunter, verteilen die Patronen an die Soldaten. Auch einen Teil des Proviants lassen wir zurück, nichts zu machen.
Nachts regnet es, ein widerwärtiger Sprühregen.
6
In der Morgendämmerung stoßen wir auf halbzerstörte Schuppen. Sie sind aus Stein gebaut, ohne Dächer, nur die Sparren ragen heraus. Anscheinend war hier früher eine Geflügelfarm, ringsherum liegt Hühnermist. Ein trüber, feuchter Tag bricht an. Wir frieren, in den Stiefeln schwappt das Wasser, die Lippen sind blau, aber Feuer dürfen wir nicht machen, da die Schuppen weithin sichtbar sind.
Ich komme nicht dazu, unter der Zeltbahn, die Walega über mich gebreitet hat, einzuschlafen, da jemand mit der Zehenspitze an meine Füße stößt.
»Verteidigungsstellung beziehen, Ingenieur! Die Fritzen.« Unter der Zeltbahn sehe ich nur Schirjajews Stiefel, in Falten gelegt wie eine Ziehharmonika, braun vor Schmutz. Es nieselt. Durch die Sparren ist ein grauer, eintöniger Himmel zu sehen.
»Welche Fritzen?«
»Schau hin, wirst selbst sehen.«
Schirjajew reicht mir den Feldstecher. Eine Menschenkette bewegt sich parallel zu unseren Schuppen in einer Entfernung von anderthalb Kilometer. Es sind nicht viele, etwa zwanzig. Ohne Maschinengewehre, offenbar ein Spähtrupp.
Schirjajew wickelt sich in die Zeltbahn.
»Was treibt sie her? Haben sie noch nicht genug? Du wirst sehen, sie gehen genau auf die Schuppen zu.«
Igor kommt herbei.
»Na, Bataillonskommandeur? Werden wir starre Verteidigung beziehen?«
Er hat anscheinend auch geschlafen, die eine Wange ist rot und voller Streifen. Schirjajew wendet den Kopf nicht, blickt durch den Feldstecher.
»Haben wir schon … Haben es schon beschlossen, als Sie zu schlafen geruhten. Die Leute sind verteilt, die Maschinengewehre aufgestellt. So, sie haben haltgemacht.«
Ich nehme den Feldstecher und beobachte. Die Deutschen beraten sich. Die Gläser des Feldstechers sind naß vom Regen, das ist hinderlich beim Sehen. Man muß sie ständig blank reiben. Nun bewegen sich die Deutschen auf uns zu. Einer nach dem andern lassen sie sich in die Schlucht hinunter. Vielleicht haben sie sich entschlossen, in der Schlucht
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