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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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einem noch bestimmt, durch halb Rußland zu stapfen.« Mit einer zerrissenen Strohmatte deckt er die Säcke zu, die unter den Munitionskästen hervorgucken.
    Gegen elf Uhr werden die Soldaten zurückgezogen. Sie kommen einzeln und legen sich schweigend auf den einstmals grünen Rasenplatz des Hofes. Sie packen, wickeln die Fußlappen um, rauchen verstohlen.
    Punkt zwölf Uhr schießen wir die letzte Garbe ab und ziehen uns zurück.
    Einige Zeit noch blinken durch die Kiefern die Umrisse des Hauses, dann verschwinden sie.
    Die Verteidigung am Oskol besteht nicht mehr. Alles, was noch gestern feuerte, MGs und Gewehre, wie Igelstacheln drohend gegen den Feind gerichtet, was auf der Lagerskizze mit roten Bögen und Zickzacklinien, mit sich überschneidenden Sektoren bezeichnet war, alles, worauf man dreizehn Tage und Nächte verwandt hat, alle mit Balken gedeckten und mit Gras und Zweigen sorgfältig getarnten Gräben – dies alles braucht niemand mehr.
    In einigen Tagen wird es sich in eine von Schlamm überzogene Froschbehausung verwandeln, wird sich mit schwarzem, stinkendem Wasser füllen, wird einfallen, und im Frühling wird frisches grünes Gras darüber wachsen. Nur Kinder werden einmal an den Stellen, wo die Maschinengewehre gestanden haben, bis an die Knie im Wasser waten und verrostete Patronen sammeln. Wir verlassen das alles kampflos, ohne daß auch nur ein einziger Schuß gefallen ist …
    Wir gehen durch jungen, lichten Kiefernwald, der wahrscheinlich erst unlängst angepflanzt worden ist, vorbei an den Unterständen des Stabes. Die Unterstände für die Frontdienstabteilung haben wir nicht fertigstellen können. Ein halb ausgeschachteter Unterstand gähnt uns entgegen. Undeutlich blinken in der Dunkelheit weiße, frisch behobelte kleine Kiefernstämme, die wir für die Überdachung auf den Schultern aus dem Nachbarhain hergetragen haben.
    Petropawlowka – unendlich langgezogen und staubig. Die Kirche mit einem großen Loch im Turm. Eine halbverfaulte Brücke, die ich gerade heute laut Plan hätte reparieren sollen. Stille. Erstaunliche Stille. Sogar die Hunde bellen nicht. Niemand argwöhnt etwas. Alle schlafen. Morgen, wenn sie aufwachen, werden schon die Deutschen hier sein.
    Wir marschieren, schweigsam, schuldbewußt, blicken vor uns hin, ohne uns umzusehen, ohne von Menschen oder Dingen Abschied zu nehmen, marschieren direkt nach Osten, Richtungswinkel fünfundvierzig.
    Neben mir marschiert Walega, klein, ausdauernd wie ein Maulesel, ein gebürtiger Altaier. Er schleppt einen Rucksack, zwei Feldflaschen, ein Eßgeschirr, eine Kartentasche, eine Feldtasche und eine Gasmaskentasche, die mit Brot vollgestopft ist. Ich wollte einen Teil der Sachen vor dem Abmarsch wegwerfen, damit er nicht so schwer zu tragen hätte, aber er hat mich nicht einmal an den Rucksack herangelassen.
    »Ich weiß besser, was Sie brauchen, Genosse Leutnant. Als Sie das vorige Mal selbst gepackt haben, da hatten Sie alles vergessen – Zahnpulver, Rasierzeug … Wir mußten zu den Chemikern borgen gehen.«
    Ich hatte nichts zu erwidern. Walega hat den Charakter eines Diktators. Es ist sinnlos, mit ihm zu streiten. Sonst ist er ein wunderbarer Mensch.
    Er kann alles. Niemals fragt er um etwas, ist nicht eine Minute ohne Beschäftigung. Wo wir auch hinkommen – nach fünf Minuten ist das Zelt fertig, bequem, anheimelnd und bestimmt mit frischem Gras ausgelegt. Sein Eßgeschirr blitzt immer wie neu. Er trennt sich nie von zwei Feldflaschen – eine mit Milch, die andere mit Wodka. Wo er es immer herbekommt, ist mir unbekannt, aber sie sind beide stets gefüllt. Er kann Haare schneiden, rasieren, Schuhe reparieren, bei strömendem Regen Feuer anmachen. Jede Woche wechsle ich die Wäsche, die Socken stopft er so, daß man nicht feststellen kann, wo das Loch war. Lagern wir am Flusse, so gibt es täglich Fisch, lagern wir im Walde – Walderdbeeren und Pilze. Alles tut er schweigend, ohne eine Mahnung meinerseits. In den fünf Monaten unseres gemeinsamen Lebens hatte ich nie Gelegenheit, mich auch nur ein einziges Mal über ihn zu ärgern.
    Jetzt marschiert er neben mir, mit seinem weichen, geräuschlosen Jägerschritt. Ich weiß, wenn wir rasten, wird er die Zeltbahn sofort auf dem trockensten Platz ausbreiten, und in meinen Händen wird plötzlich ein Butterbrot erscheinen und ein sauberes Emailletöpfchen mit Milch. Er wird neben mir liegen – klein, mit rundem Schädel, wird schweigend in die Sterne blicken und an seiner

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