Stalingrad
Und er sitzt ruhig da und gibt obendrein freche Antworten. Er war doch nicht betrunken, als er es tat. Ein Betrunkener meint, das Meer reiche ihm nur bis zum Knie … Er aber … Nein … Nicht das ist es …«
Er atmet schwer.
»Meine beiden letzten Alten sind gefallen, Jermak und Perewersew. Können Sie sich noch an sie erinnern? Einer war Seemann, der andere Kombineführer, glaube ich. Unzertrennliche Freunde. Haben zusammen geschlafen, getrunken, gegessen. Sie kennen sie doch … Einer von ihnen konnte allerlei Kunststücke vorführen.«
»Und dieser junge Zugführer, ich hab seinen Namen vergessen, der mit der grauen Strähne, gehörte der auch zu Ihnen?«
»Kalabin? War Führer der Maschinengewehrkompanie! Noch ein richtiger Junge. Nicht mal eine Woche ist er bei uns gewesen. War aus dem Lazarett gekommen und hat immer erzählt, wie man sie dort mit Grießbrei gefüttert hat.«
»Neue Kommandeure sind noch nicht eingetroffen?«
»Aus dem ersten und dritten Bataillon sind Kompanieführer hergeschickt worden. Als Zugführer habe ich vor läufig Sergeanten eingesetzt. Der Erste Adjutant fehlt noch.«
»Ohne Adjutanten ist es schwer«, gebe ich zu.
Ich bin jetzt voll und ganz beruhigt, was Farber betrifft. In seiner Art zu sprechen, in seiner Stimme überhaupt, klingen neue, feste Töne, die früher nicht da waren.
»Und was ist mit Schirjajew? Hat man nichts Genaues erfahren?«
»Ich glaube, es ist nichts sehr Ernsthaftes. Der Schädel ist heil. Was mit der Hand ist, weiß ich nicht. Es war zwar wenig Blut zu sehen, sie hing aber wie ein Lappen herunter.«
»Die rechte?«
»Nein, die linke.«
»So.«
»Er wollte nicht fortgehen, hat geschimpft. ›Einerlei‹, hat er gesagt, ›ich komme wieder. Ob ihr wollt oder nicht, ich komme wieder. Und mit Abrossimow werde ich noch mal zusammentreffen, und wenn’s am Ende der Welt sein sollte.‹«
»Nun, ich beneide Abrossimow nicht, Schirjajews Faust ist nicht so ohne …«
Eine Weile sprechen wir noch miteinander, dann kehrt Farber zurück ins Rohr.
Ich gehe nach Hause. Ich mag dem Gericht nicht länger beiwohnen.
Walega brät Brot in Butter auf. In der Ecke zischt der Samowar.
Ich ziehe die Stiefel und die Uniformbluse aus und lege mich auf die Pritsche.
»Wollen Sie Tee oder Kaffee?« fragt Walega.
»Was gibt’s zum Kaffee?«
»Amerikanische Milch.«
»Dann Kaffee.«
Walega geht fort, um die Bohnen zu mahlen. Die Butter zischt in der Pfanne. Ich nehme Karnauchows Gedichte heraus und lese sie noch einmal durch.
Dann kommt Lissagor, schlägt die Tür zu, blickt in die Pfanne, bleibt bei mir stehen.
»Nun?« frage ich.
»Antrag auf Degradierung und Versetzung in ein Strafbataillon.«
»Zuwenig.«
»Laß nur, soll ruhig ein bißchen auf dem Bauch rumkriechen. Schadet nichts. Macht Walega das Abendbrot fertig?«
»Er kocht Kaffee.«
Mehr sprechen wir nicht von Abrossimow. Am nächsten Tag geht er fort, ohne sich von jemandem zu verabschieden, mit einem Rucksack auf dem Rücken.
Ich habe ihn nie wiedergesehen, noch von ihm gehört.
26
Nachts kommen Panzer. Sechs alte, geflickte und nochmals geflickte. Vierunddreißiger. 13 Sie fauchen lange, klirren mit ihren Raupenketten am Ufer entlang, tarnen sich. Unsere Stimmung hebt sich sofort.
Auf die haben wir schon lange gewartet. Zehn Tage geht schon das Gerücht um. Erst hieß es, eine ganze Panzerdivision sei aus dem Hinterland im Anmarsch, direkt von der Fabrik. Dann hat man’s auf ein Regiment verringert, dann auf ein Bataillon. Und nun kommen nur sechs alte, die allerhand mitgemacht haben – und nicht aus dem Hinterland, sondern vom »Roten Oktober«, wo sie beinahe seit dem ersten Tag der Verteidigung kämpfen. Dennoch sind es Panzer, Technik … Und sie haben ein ziemlich drohendes Aussehen.
Gegen Morgen sollen sie schon in der vordersten Stellung sein. Der Major hat mir befohlen, den Weg für sie zu sichern. Man wird wohl zwei Eisenbahnwagen, die den Weg am Schlagbaum versperren, sprengen müssen. Ich schicke Lissagor und Agniwzew hin.
Drei von den Panzermännern kommen zu mir herein, um sich aufzuwärmen, zwei Leutnants und ein Sergeant, schwarz, schmutzig, ölbefleckt von Kopf bis Fuß.
»Habt ihr was zu essen?« fragt der Ältere von ihnen, ein Mann mit einem von Narben durchfurchten Gesicht, die offenbar von Verbrennungen herrühren.
»Haben seit heute morgen nichts mehr im Mund gehabt.«
Walega gibt mit saurer Miene die Reste des Geburtstagshasen heraus. Sie verschlingen ihn
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