Stalingrad
– glaube ich – eine Redaktion oder eine politische Abteilung. Ich weiß es nicht genau. Links, in der Richtung des Elevators, lodernde Feuersbrunst. Der Platz ist leer. Einige Trichter im aufgerissenen Asphalt. Hinter dem Springbrunnen liegt jemand. Ein im Stich gelassenes Fahrzeug steht schief, als ob es sich auf die Hinterpfoten gesetzt hätte. Das Pferd schlägt um sich. Ihm ist der Bauch aufgerissen, und die Därme liegen auf dem Asphalt herum, wie rosa Sülze. Der Rauch wird immer dichter und schwärzer und hängt in dichten Schwaden über dem Platz.
»Wollen Sie essen?« fragt Walega. Er hat eine leise, brüchige Stimme, gar nicht die seine.
Ich weiß nicht, ob ich essen will, aber ich sage: »Ich werde essen.« Wir essen die kalten Kartoffeln gleich aus der Pfanne. Igor sitzt mir gegenüber, sein Gesicht ist grau vor Staub. Der blaue Fleck hat sich über die ganze Stirn verbreitet, giftigviolett.
»Hol sie der Teufel, diese Kartoffeln! Sie wollen nicht rutschen …«
Er geht auf den Balkon hinaus.
Pengaunis und Schapiro kommen, blaß und mit Staub bedeckt. Der Angriff hat sie auf dem Hauptplatz überrascht. Sie haben im Graben gesessen. Die Bomben haben das »Haus der Roten Armee« getroffen und das Eckhaus gegenüber, wo früher das Lazarett war. Der Südteil der Stadt brennt. Ein Munitionsauto wurde auch getroffen, und die Granaten explodieren noch jetzt. Einer Frau ist der Kopf abgerissen worden. Sie wollte gerade das Kino verlassen. Dort sind etwa zwanzig Menschen umgekommen. Die Vorstellung war gerade zu Ende.
Ich frage, wie spät es ist. Pengaunis blickt auf die Uhr. Es ist drei Viertel neun. Aus der Bibliothek waren wir gegen sieben Uhr zurückgekehrt, also hat der Angriff beinahe zwei Stunden gedauert.
Igor kommt vom Balkon zurück.
»Und wo wohnt unser Hauptmann?«
Niemand weiß es. Eine idiotische Situation. Vielleicht sollten wir zu Goldstab gehen? Obgleich er unsere Adresse kennt und uns benachrichtigen wollte, falls es nötig wäre. Nein, besser, wir gehen doch hin, es ist unmöglich, hier zu sitzen. Bis zu ihm ist es nicht mehr als eine halbe Stunde Weg.
Auf der Straße Menschen mit Bündeln und Handwagen. Sie laufen, stolpern. Von den Handwagen fällt alles herunter. Die Leute bleiben stehen, packen um, schweigend, ohne zu schimpfen, mit weit aufgerissenen, starren Augen. Beißender Rauch, der im Halse kratzt, kriecht aus den Häusern heraus, breitet sich auf den Straßen aus. Unter den Füßen knirscht Glas. Ziegelsteine, Betonstücke, Tische, umgedrehte Schränke. Jemand wird auf einer Decke vorbeigetragen. Eine Greisin in einem karierten Umschlagtuch schleppt einen Hocker und ein Bündel von ungeheuren Ausmaßen.
»Herrgott im Himmel! Heilige Muttergottes!«
Das Bündel fällt herunter, das Tuch ist ihr vom Kopf gerutscht und schleift am Boden nach.
An der Ecke der Gogolstraße ein riesiger Trichter, in dem ein ganzes Haus Platz hätte. Soldaten räumen die Asphaltstücke weg, die nach allen Seiten verstreut sind. Die Luft zittert von dem durchdringenden, ohrenzerreißenden Geheul der Feuerwehrwagen.
Die Menschen hasten, hasten, hasten …
Der Rauch breitet sich über die ganze Stadt aus, bedeckt den Himmel, beißt in den Augen und kratzt im Halse. Lange gelbe Feuerzungen brechen aus den Fenstern hervor, lecken die Wände des Eckhauses. Die Feuerwehrleute entrollen ihre Schläuche.
Man läßt uns nicht ins Haus hinein. Wir versuchen lange, Goldstab von einer Telefonzelle aus anzurufen, können aber keinen Anschluß bekommen. Jemand spricht dazwischen, es krächzt und klopft. Goldstabs Stimme dringt von weither, wie aus einer anderen Welt:
»Gehen Sie nach Hause … Warten Sie.«
Wir gehen nach Hause. Die Menschen hasten, hasten, hasten noch immer. Aus der Wohnung unter uns wird ein Spiegelschrank herausgetragen.
Wir versuchen einzuschlafen, drehen uns von einer Seite auf die andere. Es ist hart und unbequem. Kein Licht. Das Radio schweigt. Die ganze Nacht über lodern Brände.
14
Beim Morgengrauen erscheint der Hauptmann.
»In fünf Minuten kommt ein Lastwagen, dann fahren wir zum Traktorenwerk.«
»Zum Traktorenwerk? Wozu?«
»Ich weiß nicht. Befehl.«
»Befehl von wem?«
»Von Goldstab. Er fährt auch ins Traktorenwerk.« »Was sollen wir dort machen?«
»Ich sagte doch eben, daß ich es nicht weiß. Sammeln Sie Ihre Gruppe und warten Sie auf den Wagen, hat er mir gesagt.«
»Und sonst nichts?«
»Nichts. Er ist nur auf einen Augenblick aus dem Zimmer des
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