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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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dem Dnjepr, ganz und gar nicht. Zum letzten Male habe ich ihn einige Tage vor Kriegsanfang gesehen. Er ist leichtsinniger und fröhlicher. Ein großer Strandbogen, bedeckt mit nackten, von der Sonne schwarzgebrannten Körpern, Sonnenschirmen, die wie Pilze aussehen, Verkaufsständen; Freibäder und eine unendliche Zahl von Booten: Schaluppen, schlanke AchterRennboote und schneeweiße schnelle Jachten. Dies alles flitzt hin und her, ist voller Bewegung, blinkt weiß, gelb, blau, zittert in der glühenden Hitze der Mittagssonne.
    Hier ist es anders. Hier ist alles voll ernsthafter Geschäftigkeit. Hier sind Flöße und Barken, verrußte, gräuliche Kutter, heiser hupende Schlepper, deren Stahltrossen im Wasser aufschlagen. Wahrscheinlich hat es vor dem Kriege auch Jachten und Boote gegeben, aber vor dem Krieg bin ich nicht hier gewesen. Und jetzt wirkt diese breite, glänzende, mit Flößen gänzlich bedeckte Wasserfläche, deren Ufer vollgespickt sind mit Kränen und langen, gleichförmigen Schuppen, eher wie ein Industriebetrieb.
    Und dennoch ist das die Wolga. Man kann stundenlang auf dem Bauch liegen und zusehen, wie die Flöße flußabwärts schwimmen, wie die Naphthalachen in allen Farben schillern, wie ein vorsintflutlicher kleiner Raddampfer schnaufend gegen die Strömung stampft. Ich liege und sehe zu, während Igor davon spricht, daß er des Nichtstuns nun überdrüssig sei, auch Schapiros mit seinen Furunkeln, auch Pengaunis’, der jeden Tag seine Kragen wäscht und auf dem Balkon aufhängt, und daß er der Fabrikdirektoren überdrüssig sei und dieses ganzen Papierkrieges.
    Ich höre ihm mit halbem Ohr zu, sehe dem schnaufenden Schleppdampfer nach, der am anderen Ufer anlegt, und bemühe mich, nicht daran zu denken, daß vielleicht in einer oder in zwei Wochen hier die Front sein wird, daß da, wo wir jetzt liegen, die Deutschen liegen werden und dort, im krausen Grün des jenseitigen Ufers, wir; und Bomben wer den weiße Wasserfontänen aufsteigen lassen, aufgequollene Körper werden auf dieser blinkenden Fläche dahinschwimmen, irgendwohin, flußabwärts, nach Astrachan, zum Kaspischen Meer.
    Igor schlägt mich kräftig zwischen die Schulterblätter.
    »Komm ins Wasser! Dort fährt ein Dampfer.«
    Nach einem Anlauf stößt er sich mit den Füßen von dem dicken schlüpfrigen Stamm ab und schnellt ins Wasser. Einige Sekunden ist er nicht zu sehen. Dann erscheint sein prustender Kopf weit vom Ufer. Mit starken, kurzen Stößen – der Rücken ist beinahe über dem Wasser – schwimmt er dem Dampfer entgegen. Der Kopf befindet sich unter Wasser. Nur der Mund taucht manchmal unter den Armen auf, um Luft zu holen. Igor schwimmt gut. Ljussja schwamm auch so, nicht so stark und hart, aber ebenfalls gut.
    Diesen Stil nennt man »kraulen«. Ich beherrsche ihn noch nicht. Die Atemtechnik klappt nicht, und die Füße werden müde. Sie müssen die ganze Zeit schnell und gleichmäßig arbeiten wie eine Schere.
    Der Dampfer zieht vorbei, klein, gedrungen, mit hohem Schornstein, hinter sich einen langen Schwanz aus Lastkähnen. Igor kehrt zurück, außer Atem.
    »Das Herz schlägt so. Ich werde alt, und überhaupt, dies ist ja kein Fluß, sondern eher ein Naphthabehälter.« Er glänzt und schillert von Naphtha. »Komm lieber in die Bibliothek.«
    Ich widerspreche nicht. Der Rücken schmerzt vom Liegen auf den Stämmen.
    In der Bibliothek vergnügen sich Igor mit der Zeitschrift »Apollo« aus dem Jahre 1911 und ich mit einigen Novellen peruanischer Herkunft aus der »Internationalen Literatur«. Die geflochtenen Sessel sind bequem. Im Zimmer ist es still und gemütlich. Bildnisse Turgenjews, Tjutschews und von noch jemand mit einem Schnurrbart und einer Nadel im Schlips. Die große Wanduhr schlägt klangvoll jede Viertelstunde. Zwei Kinder wollen vor Lachen über Dorés Illustrationen zu Münchhausen fast ersticken. Ich hatte einst auch so ein Buch mit rotem, goldgeprägtem Einband und ebensolchen Bildern, ich konnte es zwanzigmal am Tage durchblättern. Besonders hat mir das Bild gefallen, wie Münch hausen sich selbst am Zopf aus dem Sumpf zieht. Und noch ein anderes, wo das von einem Fallgatter in zwei Teile gespaltene Pferd ruhig am Brunnen steht und säuft, während hinten ein ganzer Wasserfall herausplätschert.
    Wir sitzen so lange, bis die Bibliothekarin uns darauf aufmerksam macht, daß der Lesesaal um sechs Uhr geschlossen wird.
    »Kommen Sie morgen wieder. Wir haben immer von zwölf bis sechs geöffnet, und

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