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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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die Leichen russischer Soldaten, damit sie die Überreste nach Hause zu den Familien schicken können. Schwarze Gräber suchen Leichen, deutsche wie russische, und nehmen ihnen Orden, Gürtelschnallen und SS-Abzeichen ab - jeden Scheiß, den sie im Internet verkaufen können.«
    Als die Umrisse eines Skeletts zu seinen Füßen sichtbar wurden, stocherte Rudi mit einer an einem Holzstiel befestigten Metallstange am Grund des Loches herum.
    »Denken Sie daran, dass Sie nicht nur Knochen ausgraben, sondern auch Blindgänger, Panzerminen, Handgranaten, Tretminen, Molotow-Cocktails. Bevor Sie irgendwo graben, nehmen Sie die Stange, und stochern Sie herum. Wenn Sie es lange genug gemacht haben, wissen Sie, worauf Sie stoßen - ob es Holz ist, Metall oder Glas. Jedes Jahr erlebt jemand eine große Überraschung. Na ja, aber wir provozieren es, nicht wahr? Wir provozieren die Vergangenheit.«
    Zufriedengestellt tauschte Rudi die Stange gegen einen Spaten aus und stach die Wände der Grube ab, um mehr Platz zu haben. Der Mann ist ein Bagger in Menschengestalt, dachte Arkadi. Rudis Freund Mischa kam mit einem Metalldetektor und fing an, das Feld abzugehen, aber vorher deutete er auf die Autos und Lieferwagen, die den Feldweg heraufkamen. »Ausgräber.«
    »Das ist okay«, sagte Rudi. »Die mussten alle erst noch Schisch Kebab und Bier einladen. Wir waren schon früh hier. Morgenstund’ hat Gold im Mund, oder?«
    »Kann man so sagen«, brummte Arkadi.
    »Hier ist genug für alle. Sauber skelettiert.« Rudi schaufelte mit einem kurzen Spaten die Erde beiseite. »Leichen in Schützengräben, Bunkern, Latrinen - man weiß nie, wo. Die erste, die ich gesehen habe, war oben in einem Baum. Ich war allein auf Skiern unterwegs. Ich nehme an, der Tote hatte sich in den Ästen verheddert, und die Birke ist gewachsen und hat ihn hochgehoben, bis er vom Himmel heruntergrinsen konnte. Da war ich acht.«
    Männer und Jungen strömten durch das Tor auf das Feld wie eine Armee mit Klapptischen und Proviantkörben, Schlafsäcken und Zelten, Metalldetektoren und Gitarren. Nicht alle trugen Tarnkleidung, aber so fiel man am wenigsten auf.
    »Wenn sie nichts finden, werden sie sehr enttäuscht sein«,
    sagte Arkadi. »Woher wissen sie, wo sie graben müssen?«
    »Sie folgen Rudi«, sagte sein Großvater.
    »Und woher wissen Sie es?« Arkadi sah Rudi an.
    Rudi legte ein Schlüsselbein frei und nahm einen Eispickel, um einen teebraun verfärbten Brustkorb aus der Erde zu lösen. »Ich studiere alte Kriegspläne - Karten und Schlachtberichte. Ich fahre mit dem Motorrad umher, und ich weiß, wonach ich suche. Ein Fliederbusch, wo mal ein Haus gestanden hat. Mulden, wo die Erde sich gesetzt hat. Alles, was nicht hierher gehört, zum Beispiel Kiefern mitten in einem Weizenfeld. Bäume waren eine beliebte Methode, um Massengräber zu verbergen. Außerdem kann ich es fühlen.«
    »Wie groß ist dieses Grab?«
    »Groß. Bevor sie abgehauen sind, haben die Scheiß-Deutschen eine Menge Gefangene umgebracht. Aber egal- die Ausgräber werden hier ein bisschen herumscharren, bis sie Appetit bekommen, und dann werden sie Lagerfeuer anzünden, sich betrinken und Lieder singen. Morgen ist der große Tag, wenn sie unter den Bäumen graben.«
    »Warum warten sie bis morgen?«
    »Das Fernsehen. Es musste in ihren Plan passen.«
    »Ist es Fritz?« Der Große Rudi spähte in das Loch hinunter.
    »Tja, Großvater, da ist kein Ausweis, keine Orden, keine Schulterklappen.« Rudi kniete sich hin. Die Uniform war ein brauner Mull, der in seinen Händen zerbröselte. »Zu einer Panzerbesatzung gehört er nicht. Zu groß. Die sind klein und breitschultrig, denn sie müssen in den Panzer passen, aber stark genug sein, um die Luke aufzudrücken. Außerdem sind sie meistens knusprig gebraten. Also, wer bist du?«, fragte Rudi das Skelett. »Bist du Fritz oder Iwan? Hast du ein Foto von Helga oder von Ninotschka?«
    »Sieh mal nach, ob er Fußlappen trägt«, schlug der Große Rudi vor.
    Russische Soldaten wickelten sich Lappen um die Füße, statt Socken zu tragen.
    »Er hat keine Füße«, meldete Rudi. »Keine Beine. An den Knien abgeschnitten. Und das nicht sehr sauber. Wahrscheinlich abgerissen und dann zurechtgestutzt. Armes Schwein - so was mitten in der Schlacht durchmachen zu müssen. Aber so ist es passiert.«
    »Was glauben Sie?« Der Große Rudi wandte sich an Arkadi.
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Na los«, sagte Rudi. »Sie sind ein Ermittler aus Moskau.«
    »Aber

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