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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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alle?«
     
    Puschkins Statue trug einen Zylinder, eine eiserne Haltung und vielleicht ein spöttisches Lächeln zur Schau. Arkadi hatte nicht so viel Stil. Alle paar Minuten kamen andere Männer aus der Dunkelheit, gingen mit taxierendem Blick an ihm und der Statue vorbei und verschwanden wieder. Mit einer Viertelstunde Verspätung kam Rudi auf der Ural über den Uferdamm auf die Puschkin-Statue zu, gefolgt von einem zweiten Mann auf Rudis rotem Motorrad.
    Rudi stieg ab, nahm den Helm vom Kopf und schüttelte seinen Pferdeschwanz. Wegen der abendlichen Kühle trug er einen Kampfanzug - feldgrün, nicht OMON-blau. »Entschuldigen Sie die Verspätung. Ich musste durch Nebenstraßen und Gassen fahren, damit mich niemand auf einem Dreirad sieht.«
    »Das verstehe ich. Sie haben einen Ruf zu verlieren.«
    Rudis Begleiter war ein stämmiger Mann in einem Panzer aus Leder und Ketten. Er hieß Mischa. Mischa klirrte ungeduldig, während Arkadi das Geld abzählte.
    »Und der Helm?«
    »Im Beiwagen. Der Tank ist voll.«
    Das war mehr, als Arkadi erwartet hatte. Er klappte die Abdeckung des Seitenwagens auf und sah einen verschrammten, aber unbeschädigten Motorradhelm mit Visier.
    »Danke.«
    »Sie kennen meinen Großvater.«
    »Den Großen Rudi mit der Mistgabel?«
    »Genau. Er ist wirklich sicher, dass er Stalin gesehen hat. Er hat gehört, dass in Moskau ein Mann einen Schuss in den Kopf abbekommen hat. Stalin erschien, und der Typ stand auf und spazierte davon.«
    »Eine tolle Geschichte.«
    »Rudi«, sagte Mischa, »fahren wir jetzt, oder was?«
    Rudi winkte ab. »Ich hab Ihnen einen neuen Reifen aufgezogen«, sagte er zu Arkadi. »Einen Knobby, für’s Gelände.«
    »Das ist sehr großzügig von Ihnen.« Arkadi hatte nicht vor, die Straßen zu verlassen.
    »Ihnen ist klar, dass Sie bei diesem Deal einen Schnitt machen, Renko.«
    »Was wollen Sie?«
    »Sie sind verdammt misstrauisch.«
    »Stimmt.«
    »Okay. Mein Großvater will Sie noch mal sehen. Es würde ihm viel bedeuten, und ich persönlich würde dann sagen, wir sind quitt. Er ist hundertprozentig sicher, dass er Sie im Krieg hier gesehen hat.«
    »Da war ich noch nicht mal auf der Welt.«
    »Tun Sie ihm den Gefallen. Er lebt in der Vergangenheit und erinnert sich an den alten Kram besser als an den neuen. Manchmal kommt er durcheinander. Er sieht Sie, und jetzt ist er ganz aufgedreht. Was soll’s - Sie kommen auf einen kurzen Besuch in die Werkstatt. Eine beschissene Stunde Ihrer kostbaren Zeit.«
    »Ich komme zum Graben.«
    »Das geht nicht. Ich hab schon gesagt, Sie sind kein Ausgräber.«
    »Ich rede beim Graben mit dem Großen Rudi. Nirgendwo anders.«
    »Ich hab Ihnen erklärt, dass das nicht erlaubt ist. Dazu müssen Sie ein Ausgräber sein.«
    »Pech«, sagte Arkadi.
    »Scheiße. » »Beim Graben.«
    Rudi und Mischa stiegen auf das rote Motorrad, und die Maschine erwachte mit einem Vibrato, das die Welt warnend aufforderte, zur Seite zu gehen. Rudi fuhr um Arkadi herum im Kreis.
    »Wissen Sie, Puschkin ist nicht der Einzige hier, der Eier aus
    Eisen hat.«
    Rudi fuhr noch eine Runde.
    »Wir fahren um sechs zum Graben.«
    Als Rudi weg war, inspizierte Arkadi seine Neuerwerbung.
    Neu für ihn. Die Ural musste mindestens dreißig Jahre alt sein. Ein Reserverad war hinten auf dem Seitenwagen befestigt, der aussah wie eine große Sandale und mit den wesentlichen Annehmlichkeiten ausgestattet war: mit einer Schaufel und einer Windschutzscheibe. Die Halterung für das Maschinengewehr war abmontiert worden. Als er das Motorrad zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte, war ihm aufgefallen, dass an mehreren Stellen ein Stern eingeprägt war: Es stammte aus militärischer Produktion.
    Stalins Ingenieure hatten ein paar deutsche BMWs in die Hände bekommen, sie zerlegt, hier verstärkt und da vereinfacht, und als sie sie wieder zusammensetzten, waren es russische Motorräder. Heute waren Kosaken vielleicht bescheidene Kartoffeltransporter, aber einst hatten sie Helden nach Berlin getragen.
    Arkadi rollte durch Twer. Der Motor der Ural klang nicht musikalisch, aber gleichmäßig; er war nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf Zugkraft angelegt, und wegen des Seitenwagens fuhr das Motorrad sich wie ein Auto. Man konnte sich nicht in die Kurve legen. Arkadi sah ein dunkles Restaurant nach dem anderen, fuhr von einem leeren Platz zum nächsten wie eine Schachfigur, die allein auf dem Brett ist. Wenn wirklich noch die halbe Stadt herumkroch, schaute er unter den falschen

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