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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Geschichte mitgemacht?«
    »Alle haben Nikolai angebetet.«
    »Du auch?«
    »Ja«, sagte sie.
    Arkadi spürte, dass sein Herz genauso pochte wie ihres.
    Nun ja, sie arbeiteten an etwas, das ebenso pervers wie schwierig war: am Töten der Liebe. Dabei konnte man schon ins Schwitzen geraten.
    »Aber das alles war, bevor ich dir begegnet bin«, sagte Eva. »Wenn du willst, können wir jetzt in deinen Wagen steigen und fahren. Wir können es sofort tun, solange es noch dunkel ist. Den Wagen nehmen und nach Moskau fahren.«
    »Ich kann nicht«, sagte Arkadi. »Ich darf Stalin nicht verpassen.«
    »Bist du verrückt?«
    »Nein, ich komme näher. Ich habe das Gefühl, diesmal könnte ich ihn sehen.«
    »Im Ernst?«
    »Er kannte meinen Vater.«
    »Warum bist du plötzlich so gemein?«
    »Eva, ich habe einen zuverlässigen Zeugen, der sagt, dass Isakow unmittelbar nach dem Gefecht an der Brücke war und dass Leichen auf dem Boden lagen. Tatsächlich ist er so zuverlässig, dass er tot ist.«
    Eva stand vom Bett auf und sammelte ihre Kleider ein, ohne Arkadi anzusehen.
    »Ich muss gehen.«
    »Wir sehen uns bei der Ausgrabung.«
    »Ich werde nicht da sein.«
    »Warum nicht? Es ist das große Ereignis.«
    »Ich verlasse dich und Nikolai.«
    »Wieso beide? Such dir einen aus.«
    »Ich brauche mir keinen auszusuchen, denn einer von euch wird den anderen umbringen. Ich will nicht dabei sein. Ich will nicht der Siegerpreis sein.«
    »Ich habe deine Mutter geliebt, aber sie war ein Biest«, sagte sein Vater. »Sie kam aus einer hochnäsigen Familie. Intelligenzija. » Er sprach das Wort aus, als handelte es sich um eine Insektenart. » Du und ich, wir leben in der wirklichen Welt, nicht wahr? »
    » Jawohl, Herr General.« Arkadi, vierzehn, hatte die Augen mit dem Halstuch der Jungen Pioniere verbunden, während er eine Pistole zusammensetzte. Es war ein Spiel, das sein Vater erfunden hatte. Während Arkadi im Wettlauf gegen die Uhr arbeitete, versuchte der General ihn abzulenken, denn Lärm und Verwirrung waren ein alltäglicher Bestandteil des Gefechts. Manchmal verschob er auch die Einzelteile auf dem Tisch, sodass Arkadi sie ertasten musste.
    »Sie war sehr jung und wollte wissen, was es mit Frauen auf sich hatte; also habe ich es ihr in allen Einzelheiten erklärt. Ich habe ihr einen Blick auf den Sex eröffnet, der animalischer war als das, woran ihre hasenherzigen Freunde gewöhnt waren. Ein Abend war Puschkin gewidmet. Es war ein Salon. Jeder brachte sein Lieblingsgedicht mit. Sehr kunstbeflissen. Ich hatte Puschkins Tagebuch, mit intimen Details über alle Frauen, die er gevögelt hatte. Der Mann konnte schreiben. Findest du nicht auch?«
    »Jawohl, Herr General.«
    »Gefällt dir die Waffe?«
    »Jawohl, Herr General.«
    Die Waffe, eine Tokarew, fügte sich in Arkadis Händen zusammen. Er hielt den Schlitten umgekehrt in der Hand, schob den Lauf in die Verschlussfederführung, ließ das eine Ende der Feder lose heraushängen, setzte das Griffstück an den Schlitten, drehte die Pistole herum und war fast fertig.
    »Ich kannte einen Mann, der schwor auf die Walther«, sagte sein Vater. »Also, das war ein Fachmann. Er arbeitete nachts, in einem speziellen Raum, schallisoliert, mit einer filzgepolsterten Tür. Seine Assistenten brachten ihm einen Gefangenen, und er tötete den Gefangenen durch einen Schuss in den Hinterkopf. Die ganze Nacht, jede Nacht, einen nach dem anderen, hundert Exekutionen, zweihundert, was immer die Quote war. Das Arbeitspensum war gewaltig, und ehe die Nacht halb vorbei war, hatte der Raum sich in ein Schlachthaus verwandelt. Um ihn bei der Arbeit zu halten, bekam er eine Flasche Wodka. Jede Nacht, Wodka und Blut. Der springende Punkt ist: Die Walther versagte niemals, nicht ein einziges Mal.« Der General trat gegen den Tisch. Verschlussfeder und Laufmuffe flogen vom Tisch und unter die Couch, auf der er saß. Arkadi hörte, wie die Feder über das Parkett rollte, und fühlte, dass die Stiefel seines Vaters im Weg waren.
    »Verzeihung«, sagte er.
    Sein Vater rührte sich nicht. »>Verzeihung    Die Strafe für das Überschreiten der Zeit bestand wahlweise aus einem eiskalten Blick oder darin, dass Arkadi mit ausgestreckten Armen stillstehen musste, eine Pistole in jeder Hand. Die Pistolen waren geladen, und hin und wieder hatte Arkadi den Verdacht, sein Vater wolle ihn absichtlich zur Weißglut

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