Stalins Geist
Schaufeln waren stumpf und körnig, der Schädelknochen glatt. »Das glaube ich nicht. Sieht nicht so aus, als ob er ausgeweidet wurde. Kann zehn oder zwanzig Jahre alt sein. Kein Mensch geht unter diese düsteren Bäume. Warum auch?«
»Dann ist er vielleicht an Altersschwäche gestorben«, sagte Lydia.
»Oder er ist auf etwas getreten«, sagte Rudi.
Als Ausgräber mit Sonden unter die Bäume vorrückten, sah Arkadi plötzlich, wie grau der Tag wurde. Die Kiefern standen wie eine schwarze Palisade vor dem Himmel.
»Warum gehst du nicht nach Hause, setzt dich an deinen Computer und machst noch ein bisschen mehr Geld mit dem Tod?«, fragte einer der Ausgräber Rudi.
»Weil ich derjenige bin, der diese Goldmine gefunden hat, du Arschloch«, sagte Rudi. Arkadi zog ihn weg, aber er fragte sich doch, warum Rudenko jemandem davon erzählt hatte. Diese Goldmine hätte ihm ganz allein gehören können. Rudi schüttelte ihn ab. »Amateure.«
Nacheinander ersetzten die Sondierer die roten Fähnchen durch gelbe. Pacheco fragte: »Renko, warum sieht Isakow aus, als würde er Ihnen am liebsten ein Messer ins Herz stoßen? Ich möchte, dass mein Kandidat positiv und umgänglich aussieht. Hätten Sie etwas dagegen, einen Spaziergang zu machen? Bitte, bitte?«
Arkadi hatte sowieso vor, nach Eva zu suchen. Als er außen um das Gelände herumwanderte, kamen Petja und Selenski zu ihm. Der Filmemacher war außer sich vor Wut. »Die haben uns in den Arsch gefickt. Kaum hat ein Fernsehsender Interesse gezeigt, waren wir draußen.«
»Wie haben Sie die Stalin-Sichtung in der Metro gedeichselt?«, fragte Arkadi.
»Lassen Sie sich was über das Alter erzählen: Der Schwanz ist als Erstes im Eimer, aber wenn Tanja in einem nassen Fickmich-Outfit in den Zug steigt, geraten die alten Knacker unter Dampf. Und wenn sie aufspringt und sagt, sie sieht Stalin, dann sehen die Opas ihn auch. Ohne dass jemand gegen irgendein Gesetz verstößt.«
»Und warum in der Station Tschistyje Prudi?«
»Weil sie aus dem Krieg stammt. Wir konnten Stalin nicht in einer Station mit Shopping Mall erscheinen lassen.«
»Übrigens«, sagte Petja, »hüten Sie sich vor Bora. Erst hätten Sie ihn fast ersäuft, und dann sprühen Sie seinen älteren Bruder ein, sodass der beinahe blind geworden wäre.«
»Der Boxer mit den empfindlichen Fingerknöcheln? Interessante Familie.«
Arkadi wandte sich ab und suchte nach Eva. Sie war zu ihm gekommen, und er hätte nichts weiter zu tun brauchen, als ein entgegenkommender Liebhaber zu sein und seine Fragen für sich zu behalten, dann wäre er jetzt mit Eva in Moskau gewesen. Man sagte, eine gute Ehe sei auf Ehrlichkeit gebaut. Arkadi hatte den Verdacht, dass genauso viele solide Beziehungen auf einer Lüge basierten, die beide auf ihren Schultern trugen.
Als die oberste Schicht von Kiefernnadeln und Erde für sicher erklärt worden war, kamen weitere Ausgräber mit Schubkarren und Schaufeln dazu. Arkadi vollendete seinen Rundgang und sah Schenja jetzt bei Isakow, dessen Hand leicht auf der Schulter des Jungen ruhte. Schenja fühlte sich geehrt, wie es jeder andere Junge auch getan hätte, aber Arkadi hörte, wie Wiley Pacheco fragte: »Ist das etwa der fotogenste Bengel, den wir finden konnten?«
Ein Aufschrei unter den Bäumen zeigte an, dass eine Leiche gefunden worden war. Lydia und das Kamerateam folgten der Trage mit den Überresten, die zum Untersuchungszelt gebracht wurde wie zu einer Freilichtbühne. Die Zuschauer rangelten um die besten Plätze und beobachteten, wie eine Pathologin im weißen Kittel und mit einer OP-Maske vor dem Gesicht Knochen, Stiefel und einen topfförmigen Helm voneinander trennte. Sie drehte den Schädel um und nestelte eine Metallscheibe - eine Wehrmachtsmarke - an einer Kette von den Knochen.
»Ein Deutscher! », verkündete die Ärztin, und unter den Zuschauern machte sich Genugtuung breit.
Marat Urman erschien, und Isakow übergab ihm Schenja, der sich in der Aufmerksamkeit der bei den sonnte. Die drei kamen auf Arkadi zu.
»Schenja will zum Brosno-See und Seeschlangen suchen«, sagte Isakow. »Ich habe ihm gesagt, sobald die Wahl vorbei ist, werden Marat und ich mit ihm hinfahren. Vielleicht können wir die Bestie abknallen und ausstopfen.«
»Arkadi trägt keine Waffe«, erzählte Schenja. »Ich erinnere ihn daran, aber er vergisst sie immer wieder.«
»Weil er Mitglied im Loch-im-Kopf-Club ist«, sagte Marat. »Alles, was man sagt, geht da glatt durch.«
Schenja
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