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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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kicherte, wurde aber rot vor Verlegenheit.
    Im Mutterboden unter den Bäumen fanden sich ein paar rostige Patronenhülsen, Essgeschirre und Feldbestecke. Doch dann kam die Meldung, dass die Metalldetektoren, auf größere Tiefe eingestellt, stärker ausschlugen. Arkadi war überrascht, denn Exekutionsopfern wurden normalerweise Waffen, Helme, Uhren und Ringe abgenommen, bevor sie erschossen wurden, und danach brach man ihnen die Zahnfüllungen heraus. Was sonst konnte einen Metalldetektor ausschlagen lassen?
    Lydia war einen Hauch blasser, als sie mit dem Kamerateam aus dem Untersuchungszelt kam, aber sie ließ sich nicht unterkriegen. »Nikolai Isakow und Marat Urman, ich frage Sie als Kriminalpolizisten und ehemalige OMON-Offiziere: Man spricht hier von der Möglichkeit, in diesem Gelände ein Massengrab zu finden. Wie werden solche Grausamkeiten verübt?«
    Isakowantwortete. »Die Opfer werden entweder gezwungen, ihr eigenes Grab zu schaufeln, und dann mit Maschinengewehren hineingeschossen, oder man bringt sie anderswo um und schafft sie dann zu dem Grab. Wenn wir hier russische Kriegsgefangene finden, wurden sie wahrscheinlich hier von ihren deutschen Bewachern getötet, die Angst hatten, von der Gegenoffensive überrannt zu werden.«
    Urman fügte hinzu: »Den Unterschied kann man erkennen, denn ein Maschinengewehr zerfetzt einen Körper, die Knochen und alles andere. Wenn man Leichen transportieren will, möchte man es so sauber wie möglich haben. Also schießt man ihnen einfach in den Hinterkopf. Manchmal muss man zweimal schießen.«
    Es war ein nachdenklicher Augenblick. Einer der Ausgräber hielt einen CD-Player in die Höhe, und die Kriegshymne hallte über die Grabungsstätte.
    Erhebe dich, du großes Land, Erhebe dich zum letzten Kampf. Gegen die dunkle Faschistenmacht, Gegen die verfluchte Horde.
    Alle sangen mit. Schenja sang mit Isakow und Urman. Arkadi war sicher, wenn das Lied zu Ende wäre, würde der Große Rudi auf einen Schatten oder einen schwankenden Ast deuten und Stalin sehen. Aber bevor es endete, rief eine Stimme unter den Kiefern: »Ein Helm! Ein russischer Helm!«
    »Showtime«, sagte Pacheco.
    Auf den ersten Helm folgten weitere Helme, Flaschen, Stiefel, Rasierapparate - lauter verrosteter, zerbrochener, zerfallener russischer Schrott. Keine Waffen. Aber Leichen waren da. Als der Tag wärmer wurde, ging der Schnee in einen leichten Regen über, der eine Schädeldecke hier, eine Kniescheibe dort zutage treten ließ.
    »Zwei Punkte«, sagte Wiley zu Pacheco. »Wenn Stalin auftaucht, zehn.«
    Geplant war, dass nichts geborgen werden sollte, bevor nicht für jedes rote Fähnchen Entwarnung gegeben war, aber die Aussicht auf so viele russische Helden, die darauf warteten, gefunden zu werden, war zu viel. Die Roten Ausgräber waren weder Militärs noch Pathologen; als einer mit seiner Schubkarre auf die Bäume zuging, folgten ihm nacheinander auch die anderen.
    » Eine patriotische Aufwallung mobilisiert diese Menschen«, sagte Lydia in eine Kamera. »Sie ignorieren das Gefahrensignal der roten Wimpel und brennen darauf, die verschollenen Märtyrer des Großen Vaterländischen Krieges zu exhumieren.«
    »Lasst uns mitgehen«, sagte Schenja.
    »Niemand hat die Wimpel kontrolliert«, sagte Arkadi. »Nicht einen einzigen.«
    »Die Wimpel sind Theater«, sagte Wiley. »Dekoration. Jede Munition hier ist sechzig Jahre alt. Da passiert nichts mehr.«
    »Kann ich mit meinem Team näher heran?«, fragte Lydia. »Ich glaube, die Zuschauer würden gern näher dran sein.«
    »Dann ziehen Sie die lieber an.« Rudi riss seine Weste auf und gab sie ihr.
    »Aber die kann ich Ihnen doch nicht wegnehmen.«
    »Warum nicht?«, sagte Rudi. »Ich geh da nicht hin.«
    »Ich gebe Ihnen einen Rat«, sagte Pacheco zu ihr. »Jederzeit und überall, wo Sie einen Vorwand finden, vor der Kamera in kugelsicherer Weste zu erscheinen - tun Sie es.«
    »Fertig, Hauptmann?«, fragte Urman. »Lass mich nicht im Stich.«
    Isakow sammelte sich. »Okay.«
    Zu fünft - Isakow, Urman, Lydia und das Kamerateam stapften sie durch die Schubkarrenspuren im Schlamm auf die Bäume zu. Isakow ging voraus, aber Arkadi hatte einen Moment lang den Eindruck gehabt, dass der kühne Kommandant kalte Füße bekam und von Urman angespornt werden musste.
    Vor ihnen war etwas Merkwürdiges im Gange. Die Ausgräber, die es so eilig gehabt hatten, zu den Bäumen zu kommen, verteilten sich plötzlich am Rand des Wäldchens, statt

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