Stalins Geist
Neigungen zu schätzen. Ein großer Teil der Ausbildung fand in Form von Duellen statt; ein Kandidat kämpfte unter Umständen nacheinander gegen fünf Gegner. Als Urman einem Gegner den Kiefer gebrochen hatte, notierte der Ausbilder beifällig, Urman habe »weiter zugeschlagen, bis der andere bewusstlos war«. Er sei vielleicht kein Offiziersmaterial, aber dafür »ein ausgezeichneter Rammbock«. Außerdem sei sein Freund Isakow jederzeit zur Stelle, um Marat zu bremsen, bevor der außer Kontrolle geriet. In ihren schwarz-blauen Kampfanzügen mit den schwarzen Stiefeln und Baretten bildeten die beiden eine Furcht erregende Einheit.
Sie gingen zusammen nach Tschetschenien. Im ersten Tschetschenien-Krieg, Anfang der neunziger Jahre, hatten die Rebellen eine russische Armee aus jungen, schlecht ausgebildeten Wehrpflichtigen zur Ader gelassen. Im zweiten Krieg, der Ende der Neunziger begann, hatte der Kreml eine Speerspitze aus Söldnern und Elitetruppen - nämlich die Schwarzen Barette entsandt.
Viktor hatte einen Artikel aus der Iswestija kopiert, einen Korrespondentenbericht aus Grosny über den Überfall tschetschenischer Rebellen auf ein russisches Militärlazarett. Der Reporter beschrieb das Grauen der Verwundeten, denen auf ihren Pritschen die Kehlen durchgeschnitten wurden, und die Flucht der Rebellen vom Tatort. »Schätzungsweise fünfzig Terroristen in zwei gestohlenen Lastwagen und einem gepanzerten Mannschaftstransporter flüchteten in östlicher Richtung zu einer kleinen Steinbrücke über den Fluss Sunscha, wo es mit ihrem Glück zu Ende war.
Ein kleiner Trupp Schwarzbarette aus Twer, nur sechs Mann unter Führung von Hauptmann Isakow, einem hochdekorierten Offizier im zweiten Diensteinsatz, war per Handy von dem Überfall informiert worden und wartete unter den Weiden am Ostufer des Flusses. Auf der schmalen Brücke waren die Fahrzeuge gezwungen, in einer Reihe hintereinander zu fahren, geradewegs vor die Gewehrmündungen der Schwarzen Barette. Isakow selbst schaltete den Fahrer des Panzerwagens mit einem einzigen Schuss aus und blockierte damit die Überfahrt. Ein Kugelhagel empfing die übrigen Terroristen, als sie aus ihren Wagen sprangen, um die kleine Einheit zu überrennen, die ihnen die Weiterfahrt versperrte.
Es kam zu einem heftigen Feuergefecht an den Ufern des malerischen Gebirgsflusses, und Hauptmann Isakow setzte sich beharrlich dem feindlichen Feuer aus, um seine Leute zu ermuntern. Nach einem gescheiterten Frontalangriff versuchten die Terroristen, die russischen Scharfschützen, die nach jedem Schuss ihre Position wechselten, von den Flanken her anzugreifen. Schließlich ging den Schwarzen Baretten die Munition aus. Isakow hatte keine Patrone mehr in seinem Gewehr und nur noch zwei in seiner Pistole, als die Tschetschenen plötzlich in einem der Lastwagen den Rückzug antraten. Der zweite LKW, der gepanzerte Mannschaftstransporter und vierzehn tote Aufständische blieben zurück. Als sich der Rauch verzogen hatte, stellte man fest, dass nur ein Schwarzbarett am Knie verwundet worden war. Hauptmann Isakow erklärte: >Wir haben den feigen Überfall auf unsere verwundeten Kameraden hoffentlich gerächt. Wir haben an sie gedacht und unser Bestes gegeben.<
Der Name des Reporters war Aaron Ginsberg.
»Die Armee ist alles!«, hatte Arkadis Vater immer gesagt, bis man ihm den Feldmarschallsstab verweigert hatte. Danach hieß es: »Die Armee ist scheiße!« Arkadi wünschte, er hätte einen ebenso klaren Blick. Er legte das Dossier halbwegs ordentlich wieder zusammen.
Ehe er es vergaß, rief er die Nummer an, die er in Pjotrs Streichholzheftchen gefunden hatte. Es war fünf Uhr morgens - eine gute Zeit, um aufzuwachen und darüber nachzudenken, dass es noch vier Stunden lang dunkel sein würde.
Eine schlaftrunkene Stimme meldete sich. »Metropol Hotel, Rezeption. »
»Entschuldigung. Falsch verbunden.«
Und wie falsch! Das prachtvolle Metropol Hotel und der zottelige Kameramann Pjotr Petrow - das ergab nicht den geringsten Sinn.
Arkadi hatte zwei Minikassetten; eine stammte aus Petrows Videokamera, die er auf dem Metrobahnsteig benutzt hatte, und die andere hatte Petrow in der Tasche gehabt. Arkadi schob die erste Kassette in die Videokamera, verband die Kamera mit dem Fernseher und lehnte sich zurück, um sich die Aufnahme anzusehen.
Sie begann früher als erwartet mit dem Filmemacher Selenski auf dem Roten Platz. Es hatte eben angefangen zu schneien, und Wolken, so schmutzig wie
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